Szene A

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Mit einer sanften Bewegung legte Julia die CD ein und drückte auf „Play". Nach ein paar Sekunden ertönten aus den zwei kleinen Boxen, die rechts und links von dem Radio auf der hellen Kommode standen, die ersten Klänge eines Klaviers.
Die junge Mutter stellte den Lautstärkeregler ein bisschen leiser und beugte sich über das Kinderbett, das vor dem Fenster in dem kleinen Raum stand.

„Jetzt wird erst einmal Mittagsschlaf gehalten, meine kleine Ellie", sagte sie lächelnd und griff nach der Decke, um sie über ihre anderthalb Monate alte Tochter zu legen.

Fast andächtig und mit großen Augen schaute das Baby zu seiner Mutter auf, während es dem Andante aus Mozarts 3. Klaviersonate lauschte.

Doch die Ruhe weilte nicht lange. Aus dem Nachbarzimmer hörte Julia ein lautes Scheppern. Mit einem Seufzer erhob sie sich, um nach ihrem Ältesten zu sehen. Jakob war nicht im Esszimmer, sondern in der Küche.

Seit er endlich auf eigenen Füßen stand und durch die Wohnung laufen konnte, war er in seiner Neugierde und Erkundungsfreude nicht mehr zu bremsen. Offensichtlich waren ihm die Küchenschränke unter dem Tresen zum Opfer gefallen. Seine kleinen Hände zogen an den Töpfen, bis diese mit einem lauten Scheppern zu Boden fielen.

Julia packte Jakob und hob ihn hoch. Er wollte schon protestieren, doch sie kam ihm zuvor.

„Jakob, nein! Papa übt oben und braucht Ruhe, sonst wird er sauer. Und deine kleine Schwester schläft. Pschschscht!"

Jakob quengelte und strampelte, bis Julia ihn wieder zu Boden ließ. Sie nahm seine Hand und zog ihn in Richtung Wohnzimmer.

„Komm her, ich zeige dir was Tolles.", lockte sie ihn.

Schon waren die Töpfe vergessen und Jakob tapste seiner Mutter hinterher. „Da!", sagte er, als Julia einen schwarzen Koffer öffnete. „Daiide!", rief er mit leuchtenden Augen.

„Fast", lachte Julia. „Geige."

Sie nahm das Instrument aus dem mit dunkelblauem Samt ausgelegten Koffer und zupfte eine Saite an. Sofort streckten sich Jakobs kleine Hände nach der Geige aus. Unbeholfen wanderten sie über das Holz und die Saiten und versuchten, dem Instrument ebenfalls Töne zu entlocken.

Als er mit beiden Händen danach greifen wollte, entzog ihm Julia die Geige. „Ich glaube, da wirst du dich noch ein bisschen gedulden müssen, wir fangen erst mal mit etwas an, das unter deinen Fingern nicht so leicht kaputt geht." Sie strich ihm über den Lockenkopf und legte die Geige außer Reichweite.

„Na, hast du unserem Ältesten deinen zweiten Ehemann vorgestellt?" Die Hände in die Seiten gestützt und mit einem Grinsen auf dem Gesicht stand Thomas auf der Treppe.

„Ich verbringe ganz sicher mehr Zeit mit dir, als mit meinem Instrument.", erwiderte Julia mit gespielter Entrüstung.

„Da wäre ich mir nicht so sicher", schmunzelte Thomas und zog sie zu sich heran, um ihr einen Kuss zu geben.

„Da!", sagte Jakob und hatte nun wieder die Aufmerksamkeit seiner Eltern.

„Komm her, kleiner Mann. Wir gehen jetzt Klavier spielen, das ist tausendmal besser, als die langweilige Geige von der Mama."

„Hey!", protestierte Julia lachend. Doch Thomas hatte Jakob schon an die Hand genommen und half ihm langsam die Treppe hinauf.

„Wann musst du weg?" Rief sie ihm hinterher.

Thomas hielt kurz inne und drehte sich zu ihr um. „In zwei Stunden. Ich werde ein bisschen früher in der Alten Oper sein, um noch ein paar Dinge mit Samuel zu besprechen. Im 2. Satz habe ich immer das Gefühl, dass mir das Orchester davonläuft, vielleicht bekommen wir das bis zum Konzert noch hin. Na ja, wahrscheinlich ist es eh nur Einbildung.", ergänzte er schmunzelnd.

„Das harte Leben eines Perfektionisten", seufzte Julia theatralisch. „Ich werde mich mal um die wichtigen Dinge des Lebens kümmern und die Spülmaschine ausräumen. Übrigens: Wenn Ellie wach wird, habe ich Übezeit und du bist Babysitter!"

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