Epilog

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Immer wieder dringt die Nadel der Tätowiermaschine in meine Haut ein. Der Schmerz in meinem Unterarm ist erträglich und jetzt kann ich sowieso nicht mehr kneifen. Ich beobachte, wie sich auf der Innenseite meines linken Handgelenks langsam die Konturen des geschwungenen S deutlich werden: das F-Loch einer Violine.

Seit Wochen spiele ich mit dem Gedanken, ein Zeichen zu setzen; zwei Mal bin ich im Tattoostudio gewesen und habe mit dem Tätowierer gesprochen. Ein unheimlicher Mann, seine Haut ist von oben bis unten mit bunten Bildern bedeckt und ständig kann ich neue Piercings an seinem Körper entdecken. Aber er arbeitet absolut professionell, darüber habe ich mich vorher informiert und mir natürlich selbst ein Bild gemacht. Er hat mich über die gesundheitlichen Risiken aufgeklärt und mir noch einmal ausdrücklich klar gemacht, dass Tattoos in manchen Berufen nicht erlaubt sind. Ja, das ist mir mehr als bewusst. Jahrelang hat man mich davor bewahrt, etwas Unprofessionelles zu tun und voilà, hier bin ich.

Ich habe weder Felix, noch meinem Vater etwas von diesem Vorhaben erzählt. Das ist ganz allein meine Sache.
Auf einmal verstummt das Surren der Nadel und der Tätowierer nimmt seine Hand von meinem Unterarm.

"So, das wäre geschafft. Ich hoffe, es gefällt Ihnen."

Ich betrachte eingehend die schwarzen Linien. Es ist perfekt.

"Danke.", antworte ich lächelnd und lasse den Mann mein frisch gestochenes Tattoo desinfizieren und eine durchsichtige Folie darüber legen, die er an den Ränder mit Tape fixiert.

"Die muss jetzt noch ein paar Stunden drauf bleiben. Ich gebe Ihnen einen Flyer mit, darauf stehen alle Informationen über die Pflege für die ersten drei Monate."

Ich nicke und nehme dankbar den Flyer entgegen. Obwohl ich bereits alles schriftlich bekommen hat, erklärt der Tätowierer mir noch einmal genau, worauf ich die nächsten Wochen achten und was ich vermeiden sollte. Ich höre aufmerksam zu und versuche, mir alles genau einzuprägen. Dann bedanke ich mich bei ihm und begleiche meine Schulden, bevor ich das Studio verlasse.

Selten bin ich so zufrieden mit mir selbst gewesen. Ich schließe mein Fahrradschloss auf und mache mich durch den spätsommerlichen Vormittagstrubel der Innenstadt auf den Weg nach Hause. Währenddessen  versuche ich angestrengt, mir eine Strategie zu überlegen, das Tattoo meinem Vater beizubringen. Er wird nicht begeistert sein, denn was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Ich kann schon jetzt seine Stimme in meinem Kopf hören, wie er mir einen Vortrag über das Thema Jugendsünden und faltige Haut hält. Doch ich habe noch ein paar Stunden Zeit, bis mein Vater von der Arbeit kommt und bis dahin werde ich mir schon schlagfertige Argumente überlegt haben.

Aber zuerst muss ich noch etwas anderes erledigen und das erfordert wesentlich mehr Mut. Sobald ich die Haustür hinter mir geschlossen habe, laufe ich hoch in mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett sinken. Dann hole ich noch einmal tief Luft und wähle auf meinem Smartphone die Nummer, die ich schon seit Jahren nicht mehr angerufen habe.

"Leitner, ja bitte?", meldet sich eine mir nur allzu vertraute Stimme.

"Hallo, hier ist Elisabeth."

"Ich glaub es nicht.", höre ich ein Murmeln aus der Leitung. "Was verschafft mir die Ehre?"

"Ich habe über Ihr Angebot nachgedacht und wollte es gerne annehmen."

"Das ist jetzt Wochen her. Glaubst du nicht, du hättest dir das früher überlegen sollen?" Herr Leitners Stimme klingt unerbittlich. Doch davon lasse ich mich nicht mehr einschüchtern. Dazu kenne ich ihn zu gut.

"Ich habe einfach noch ein bisschen Zeit gebraucht.", versuche ich zu argumentieren.

"Ich denke, dass drei Jahre Zeit genug waren."

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