Szene D

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Die erste Geigenstunde war schrecklich. Ellie hatte eine freundliche Lehrerin erwartet, eine, die ihr wie Melanie Kekse anbot und Geschichten vorlas. Doch da hatte sie sich gründlich getäuscht.

Zwei Monate vor ihrem fünften Geburtstag fuhr Julia das erste Mal mit ihrer Tochter zur Geigenstunde. Die Musikschule befand sich 10 Kilometer entfernt in einem benachbarten Stadtteil. Julia parkte hinter dem gelben Gebäude und half Ellie, sich abzuschnallen. Sie nahm den Koffer mit der Viertelgeige auf den Rücken und lief, Ellie im Schlepptau, auf den Eingang der Musikschule zu. Das Mädchen war aufgeregt, freute sich aber riesig, endlich wie ihr großer Bruder, Geige spielen zu dürfen. Felix und Jakob zogen sie ständig damit auf, dass die kleine Ellie immer noch die Lieder vom kleinen A sang und sie schon ein richtiges Instrument in den Händen halten durften. Damit war jetzt Schluss.

Das Geigenzimmer befand sich gleich im Erdgeschoss auf der rechten Seite. In dem langen Flur roch es nach Teppich und Kaffee. Durch die Türen drangen die Klänge verschiedenster Instrumente und vermischen sich zu einem bunten Durcheinander.

Vorsichtig klopfte Julia an die Tür und öffnete sie anschließend. Der Raum war schlicht, an der Wand stand ein hölzernes, vermutlich schon älteres Klavier. Ein kleines Wandregal war gefüllt mit Notenbüchern und an den Wänden hingen vereinzelte Plakate, auf die sich Ellie allerdings keinen Reim machen konnte. Auf einem Tisch lag ein geöffneter Geigenkoffer, die Geige daneben. Und mitten im Raum stand eine Frau, vielleicht in Julias Alter. Sie hatte einen strengen Pferdeschwanz und schaute nicht gerade freundlich. Doch Julia begrüßte sie mit zwei Küsschen links und rechts auf die Wange. Ellie hatte sie noch nie gesehen, doch wenn ihre Mutter sie kannte, schien ja alles in Ordnung zu sein.

„Mein Name ist Frau Hiebig", stellte sie sich vor. „Und du musst Elisabeth sein."

Ellie nickte vorsichtig.


In den nächsten zwanzig Minuten erklärte Frau Hiebig dem Mädchen, wie man mit einer Geige umzugehen hatte und worauf sie aufpassen musste. Dann versuchte sie Ellie zu erklären, wie man den Bogen spannte und Kolophonium auftrug. Julia blieb die ganze Zeit im Raum und schaute still zu.

Nach 35 Minuten hatte Ellie immer noch keinen Ton auf der Geige gespielt und sie wurde langsam ungeduldig. Und als sie endlich den Bogen in die Hand gedrückt bekam, korrigierte Frau Hiebig noch ungefähr eine Million Mal ihre Haltung und rückte ständig Ellies kleine Finger zurecht, die nie an ihrem Platz bleiben wollten. Kein einziges Mal wurde Ellie gelobt und ihre Hand schmerzte höllisch.

Schließlich übten sie, wie man die Geige korrekt zu halten hatte. Ununterbrochen nörgelte die Lehrerin an Ellie herum, bis dieser die Tränen in den Augen standen. Als Mutter und Tochter den Raum schließlich verlassen durfte, hatte Ellie keinen einzigen Ton gespielt.

„Ich hasse Geige spielen" Das war das Erste, was das Mädchen zu ihrer Mutter sagte.

Julia lachte. „Ach komm, mein Schatz. Das wird bestimmt besser."

„Aber ich durfte gar nicht richtig spielen.", beschwerte sich Ellie.

Daraufhin erwiderte Julia nichts. Es würde besser werden. Damit man das Instrument lieben lernte, musste man es am Anfang hassen. So war es bei ihr gewesen und so war es bei Jakob gewesen. Sabine Hiebig war eine gute Freundin aus dem Berufsorchester und Julia wusste genau, bei wem sie ihre Tochter in den Unterricht schickte, damit auch sie später einmal mit Geigespielen ihr Geld verdienen würde.

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