Szene 21

1.3K 116 27
                                    

Erschrocken starre ich in Noras ebenso überraschtes Gesicht. Das muss ein Traum sein, ein verrückter Streich, den mir mein Gehirn spielt.

„Elisabeth, ich bin so froh, dass wir dich gefunden haben!"

Im nächsten Augenblick öffnet sich die Beifahrertür und Nora steigt aus dem Wagen.

„Geht es dir gut?" Sie fasst mich an den Schultern und betrachtet forschend mein Gesicht, das aussehen muss, als wäre ich gerade einem Geist begegnet.

„Was tut ihr hier?", stammele ich.

„Oh Ellie, mein Schatz!" Mein Vater ist Nora aus dem Auto gefolgt und umarmt mich stürmisch, ohne auf meine Frage einzugehen. „Geht es dir gut? Wo ist Felix?"

„Was macht ihr hier?!", wiederhole ich meine Frage nun etwas nachdrücklicher und löse mich aus der Umarmung

„Wir haben uns Sorgen gemacht. Felix hat mir heute Morgen geschrieben, wo ihr steckt und dass ich unbedingt sofort kommen müsste. Du hast ja keine Ahnung, was ich mir alles ausgemalt habe, was passiert sein könnte!"

„Felix hat – Was?" Ich trete einen Schritt zurück, weil ich nicht glauben kann, was ich hier höre. Doch bevor mein Vater zu einer Antwort ansetzen kann, unterbricht ein lautes Hupen mein Gedankenkarussell. Ein Mann brüllt etwas Unverständliches auf Italienisch aus seinem Autofenster.

„Auf, steig ein!", fordert mein Vater mich auf. Hastig werfe ich meine Tasche auf den Rücksitz und klettere hinterher, bevor der Einheimische noch einen Tobsuchtsanfall bekommen kann.


Mein Vater hat eine Flasche Weißwein bestellt. Ich vermute, dass wir noch eine zweite brauchen werden angesichts der Umstände. Wir sitzen in einem Lokal direkt am Hafen mit Blick auf den spätabendlichen See. Für Außenstehende wirken wir sicherlich wie eine glückliche Familie im Urlaub. Bei der Vorstellung muss ich innerlich lachen. Wie schön es doch wäre, tatsächlich einfach nur im Urlaub zu sein. Das Lokal ist gut besucht, von allen Seiten kann ich die verschiedensten Sprachen vernehmen.

Mein Blick wandert zu meinem Vater. Er sieht verändert aus, irgendwie aufmerksamer. Als hätte ihn etwas zurück ins Leben geholt. Trotzdem kann ich auch eine Menge Sorge in seinen Gesichtszügen ausmachen. Er hat dunkle Ringe unter den Augen, offensichtlich hat er die letzten Nächte nicht viel Schlaf bekommen. Ich vermute schwer, dass ich daran nicht ganz unschuldig bin. Sofort macht sich das schlechte Gewissen in mir breit. Ich hätte ihm bescheid geben müssen und nicht einfach so verschwinden dürfen.

Mein Blick wandert weiter zu Nora. Sie wirkt aufgewühlt. Wieder frage ich mich, was zum Teufel sie hier tut. Warum ist sie mit nach Italien gereist? Als der Kellner den Wein bringt, bestelle ich noch ein Risotto. Wenn ich nicht bald etwas in den Magen bekomme, werde ich mich bald mit niemanden mehr vernünftig unterhalten können.

Hastig stürze ich einen großen Schluck Wein herunter, was mir einen strengen Blick sowohl von Nora, als auch von Thomas einfängt. Aber ich brauche den flüssigen Mut in diesem Augenblick.

„Also gut.", beginne ich. „Wer von euch erklärt mir jetzt, warum ihr hier seid?"

Thomas lehnt sich seufzend zurück. Er betrachtet mich ausgiebig als wolle er noch aus meinen Worten schlau werden.

„Eigentlich bist du eher diejenige, die eine Menge zu erklären hat. Immerhin bist du nach deinem Abiturientenball einfach nicht mehr aufgetaucht und stattdessen mit Felix durchgebrannt."

„Wir sind nicht durchgebrannt.", widerspreche ich, doch mein Vater geht nicht länger auf meine kleine Korrektur ein.

„Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht geschrieben hast, wo du bist." Der Vorwurf in seiner Stimme ist nicht zu überhören. „Das war eine absolut kindische Aktion, einfach einer bereits verkauften Geige hinterher zu rennen."

An deiner SaiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt