Szene B

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Es war der Montag nach Ellies viertem Geburtstag, als Julia sie das erste Mal zu Melanie brachte. Das kleine Mädchen saß in seinem Kindersitz auf der Rückbank des silbernen Golfs und schaute aus dem Fenster. Das Auto kam vor einem urig aussehenden Haus mit einem kleinem Vorgarten zum Stehen. Julia stieg aus, schnallte Ellie ab und hob sie aus dem Kindersitz. Die Hand ihrer Tochter umschlossen, ging sie auf die hölzerne Haustür zu und klingelte. Nach kurzer Zeit öffnete eine Frau mittleren Alters. Sie hatte blonde Locken und ein freundliches Lächeln.

„Julia, wie schön dich zu sehen!"

Sie beugte sich vor, um Julia zu umarmen. Dann ließ sie Mutter und Tochter das Haus betreten. Es war gemütlich eingerichtet. Der kurze Flur führte in einen offenen Raum, der sowohl das Esszimmer als auch ein kleines Wohnzimmer beherbergte. Dominierend war der große schwarze Flügel, der an der Glasfront stand, die einen kleinen Wintergarten abtrennte. Die Wände waren mit Bildern und Fotos geschmückt und neben dem Sofa stand ein Regal, das über und über mit CDs und Noten gefüllt war.

Elli drückte sich fest gegen ihre Mutter. Die fremde Frau und das fremde Haus machten ihr ein wenig Angst. Julia half ihrer Tochter dabei, Schuhe und Jacke auszuziehen, dann setzten sie sich auf das Sofa. Melanie kam kurz darauf mit einem Teller Kekse aus der Küche und setzte sich zu den beiden.

„Hallo, ich heiße Melanie.", sagte sie zu Ellie.

Das Mädchen schaute sie mit großen Augen an.

„Und wie heißt du?"

„Elisabeth", antwortete sie schüchtern.

Doch der Teller mit den Keksen machte sie neugierig und weil Melanie ihr den Teller auffordernd hinhielt, nahm sie zögernd einen.

„Darf ich dich auch Ellie nennen, so wie deine Mama?", fragte Melanie.

Das Mädchen nickte und versteckte sich halb hinter Julias Rücken. Aber langsam fasste sie Zutrauen zu der netten Frau.

„Komm", sagte Melanie, nachdem das kleine Mädchen zwei Kekse verschlungen hatte.

Ellie folgte ihr langsam. Sie lief zu dem großen Flügel und setzte sich auf den Klavierhocker. Zu Hause hatten sie einen ganz ähnlichen Flügel, nur schien dieser ein weniger älter und abgenutzter zu sein.

„Weißt du, was wir zwei heute machen?", fragte Melanie.

Ellie schüttelte den Kopf.

„Wir machen ein bisschen Musik und ich erzähle dir eine tolle Geschichte. Hört sich das gut an?" Die Vierjährige nickte.

„Deine Mama erledigt in der Zeit ein paar Einkäufe und dann kommt sie wieder."

Panisch drehte sich Ellie zu ihrer Mutter um, die schon wieder Schuhe und Jacke anhatte. Doch Julia warf ihrer Tochter nur einen beruhigenden Blick zu und sagte: „Ich bin wirklich gleich wieder da."

Das schien das Mädchen zu entspannen und es widmete seine Aufmerksamkeit wieder Melanie.

„Heute darfst du etwas, was du zu Hause nicht darfst.", verriet Melanie mit einem Schmunzeln.

Dann nahm sie eine Decke, die zuvor zusammengefaltet auf dem Sofa gelegen hatte, und breitete sie auf dem geschlossenen Flügeldeckel aus. Mit einem Ruck nahm sie Ellie unter den Achseln hoch und setzte sie auf den Flügel.

„Leg dich auf die Decke.", sagte sie auffordernd.

Das Mädchen schien sich zu freuen, denn Klettertouren auf dem Flügel waren zu Hause strengstens untersagt. Ellie machte es sich auf der Decke bequem und wartete, wie es weiterging.

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