Szene V

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Ellie schreckte aus dem Schlaf hoch. Sie wusste nicht, wer oder was sie geweckt hatte, neben ihr schlief Isabella tief und fest. Ein Blick auf die Uhr bestätigte, dass es noch mitten in der Nacht war. Heute war das letzte Konzert, der letzte Tag der Sommerferien, morgen würde die Schule wieder beginnen. Jakob und Felix hatten Glück, es war ihr letztes Jahr an der Schule. Und danach würde wieder alles anders werden. Mit einem lautlosen Stöhnen vergrub Ellie ihr Gesicht im Kopfkissen. Ihr Schädel pochte dumpf und auf einmal überfiel sie ein selten gekannter Durst. Leise schälte sie sich aus ihrer Bettdecke und schlich in das Badezimmer. Vielleicht sollte sie bei der nächsten Party lieber etwas weniger trinken. Aber lustig war es trotzdem gewesen.


"Das hier oder das?", fragte Isabella und hielt zwei fast identische schwarze Kleider hoch. "Ich habe auch noch die schicke Hose und dazu eine Bluse."

Ellie schmunzelte. "Die sehen alle gut aus, aber ich bin für das Kleid. Das mit der Spitze.", sagte sie und deutete auf das spitzenbesetzte knielange Kleid in Isis rechter Hand.

"Ok. Was ziehst du eigentlich an?"

"Die gefühlt letzte Konzertgarnitur, die noch nicht in der Wäsche gelandet ist.", antwortete Ellie und kramte in ihrem Rucksack. Mit einem kritischen Blick zog sie von ganz unten ein schlichtes, aber elegantes Kleid hervor.  "Ich glaube, das muss ich noch mal bügeln, sonst kriegt meine Mutter einen Anfall."

"Dann aber schnell. Wir haben nur noch eine viertel Stunde Zeit.", sagte Isi und zerrte Ellie ins Erdgeschoss in die Waschküche.

Das war mal wieder typisch. Den ganzen Tag hatten die Mädchen die Zeit vertrödelt, im Bett gelegen und Serien geschaut. Zwischenzeitlich hatten sie es sogar geschafft, sich Spaghetti Bolognese zu kochen. Ein Tag ohne Üben, das gab es nur, wenn sich Ellie außer Haus flüchtete, aber sie hatte den Tag voll und ganz genossen. Und nun waren nur noch 15 Minuten Zeit übrig, bis Isabellas Vater kam, um die Mädchen zum letzten Konzert nach Kelkheim zu fahren. Doch Routine machte bekanntlich den Meister. So war es nicht verwunderlich, dass Ellie und Isabella tatsächlich um Punkt halb sieben abfahrbereit im Hausflur standen, als Isabellas Vater die Tür aufschloss.

"Oh Scheiße, ich hab meine Konzertschuhe zu Hause vergessen!", entfuhr es Ellie im gleichen Moment. Sofort schlug sie sich die Hand vor dem Mund, als ihr auffiel, dass sie gerade vor Isabellas Vater laut geflucht hatte. "Tschuldigung.", murmelte sie. "Ich rufe nur schnell Zuhause an, dass meine Eltern mir die Schuhe noch mitbringen." Hastig kramte sie in ihrem Rucksack nach dem Handy, wählte die Nummer und lief ungeduldig auf und ab, während es in der Leitung tutete.

"Ellie, was gibt's?", fragte ihr Vater atemlos. Offensichtlich war auch zu Hause der übliche "Vor-dem-Konzert-Stress" ausgebrochen.

"Papa, ich habe meine Konzertschuhe vergessen. Die liegen ganz unten im Schuhregal. Kannst du die bitte noch einstecken?"

Sie hörte, wie es durch die Leitung laut rumpelte. Dann ertönte die genervte Stimme ihres Vaters am Hörer. "Ellie, hier sind tausende schwarze Frauenschuhe."

"Die mit der Schleife vorne. Größe 38"

"Wie soll man da denn eine Schuhgröße erkennen...", hörte sie ihren Vater leise fluchen. "Ja, ich glaube ich habe sie. Und wenn es die Falschen sind, ziehst du sie trotzdem an."

"Ja, Papa. Danke", sagte Ellie mit einem leichten Grinsen. Im Hintergrund hörte sie, wie ihre Mutter Thomas aufforderte, sich zu beeilen. Erleichtert legte Ellie auf und steckte das Handy wieder in ihren Rucksack. "So, wir können.", sagte das Mädchen und holte einmal tief Luft.

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