Szene R

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Mit einem Dank entließ Herr Friebe die jungen Musiker aus der Tuttiprobe. Ellie klappte ihre zusammengeklebten Noten der 5. Tschaikowsky Sinfonie zusammen und legte ihre Geige in den Kasten.

"Endlich", murmelte Isi genervt. "Wir haben bald Mitternacht..."

Das war ein wenig übertrieben, denn ein Blick auf die Uhr verriet Ellie, dass es noch fast zwei Stunden bis Mitternacht waren, trotzdem war sie erschöpft. Sie hatten drei Stunden ohne Pause den vierten Satz geprobt, der besonders für die Streicher nicht einfach zu spielen war. Ein Blick ins Celloregister bestätigte Ellie, dass sie und Isi nicht die einzigen waren, die dem Feierabend schon seit zwei Stunden entgegenfieberten. Felix zog in ihre Richtung eine übertriebene Grimasse, ließ die Zunge heraushängen und rollte mit den Augen. Ellie grinste und nickte zustimmend.
Noch drei Tage trennte das Landesjugendorchester von der Konzertwoche, doch Ellie war die stressigen Tage mittlerweile gewöhnt, immerhin war es bereits ihre fünfte Arbeitsphase.

"Kommst du gleich noch mit?"

Simon, der Solohornist des LJOs schaute Ellie fragend an. Er hatte eine Hand in die Hosentasche gesteckt und fuhr sich mit der anderen lässig durch die Haare. Man konnte deutlich den runden Abdruck des Mundstücks auf seinen Lippen sehen, was die coole Erscheinung gleich wieder zerstörte, ein bisschen albern sah das nämlich schon aus. Bereits die ganze Woche schien er ein Auge auf Ellie geworfen zu haben und wenn das Mädchen ehrlich sein wollte, war sie keinesfalls abgeneigt. Simon war ein fantastischer Hornist. Bei jedem seiner Soli lauschte sie besonders dem warmen und strahlenden Klang des Instruments. Er schien in ihrem Alter zu sein und war immer nett zu ihr. Die Brille, die auf seiner Nase saß, gab ihm eine herrliche Mischung aus cool, nerdig und freundlich, fand Ellie. Und er war der erste Junge, der sie offensichtlich toll fand, das ehrte sie zutiefst.
Ihre ewige Schwärmerei für Florian hatte sie aufgegeben, nachdem er sich vor einem Jahr von dem Orchester verabschiedet hatte. Außerdem war er zu klein für sie.

"Klar.", antwortete sie Simon. "Ich bring nur noch schnell meine Geige weg." Und zieh mir was Besseres an, fügte sie in Gedanken hinzu.

Seit sie bei dem Wettbewerb der Deutschen Stiftung Musikleben eine Geige als Leihgabe für ein Jahr gewonnen hatte, musste sie dreimal so gut auf ihr Instrument aufpassen. Nichts wäre schlimmer, als wenn diese aus Unachtsamkeit kaputt ginge, oder gar gestohlen würde. Also hastete Ellie mit dem Geigenkasten auf dem Rücken die Treppe der Jugendherberge hinauf und zog den Zimmerschlüssel aus ihrer Hosentasche, um ihr Instrument in Sicherheit zu bringen.

"Kommst du auch noch mit?", fragte sie Isi, als sie das Zimmer betrat. Diese lag in ihrem Bett mit einem Buch in der Hand und wirkte, als würde sie sich heute nicht mehr bewegen wollen. Bei der Frage stieß sie einen tiefen Seufzer aus.

"Eigentlich bin ich echt platt, aber irgendwie hätte ich schon Lust..."

"Simon hat gefragt, ob ich mitkomme.", ließ Ellie schließlich die Bombe platzen.

"Uhh", quietschte Isi. "Ok, ich komme mit, ist doch klar." Sofort rappelte sie sich hoch und stiefelte ins Bad, um sich herzurichten. Ellie folgte ihr. Ihre Haare waren heute mal wieder ein hoffnungsloser Fall. Sie schienen nie so liegen zu wollen, wie Ellie es gerne hätte. Entweder standen sie in alle Richtungen ab, oder sie sah aus, als hätte sie in die Steckdose gegriffen.

Zehn Minuten später waren die Mädchen auf dem Weg nach unten. Vor der Jugendherberge sahen sie bereits eine Gruppe Orchesterteilnehmer stehen, einige mit einem Bier in der Hand. Simon winkte Ellie zu, als er sie entdeckte, also steuerte das Mädchen in seine Richtung.

"Wir wollten zur Kerbefest in die Stadt.", sagte er so locker wir möglich, aber Ellie bemerkte die Hoffnung, die in seiner Aussage mitschwang.

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