Szene 4

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Es klingelt an der Tür. Hastig trage ich noch mein Make-up auf und ziehe mir eine Bluse über. Unten höre ich, wie mein Vater Sebastian die Tür aufmacht und ihn begrüßt. Ich vernehme, wie sie sich über etwas unterhalten, das ich nicht verstehen kann. Die beiden scheinen sich ja zu mögen, was mich wirklich freut. Ehrlich gesagt glaube ich aber, dass mein Vater einfach nur froh ist, dass ich überhaupt in der Lage bin, mich sozial weiterzuentwickeln. Da hätte ich vermutlich jeden Jungen anschleppen können und er hätte sich darüber gefreut.

Eilig packe ich mein Portemonnaie und mein Handy in meine Handtasche und laufe die Treppe herunter. Basti begrüßt mich mit einem Kuss und murmelt mir ein „Hi, Schatz" ins Ohr. Ich ziehe meine hohen Schuhe und einen Mantel über. Eigentlich bin ich zu schick angezogen fürs Kino, aber irgendwie mag ich es ganz gerne.

„Wie schaut der Plan aus?", fragt Basti.

„Wir treffen uns um sieben am Rathausplatz in Friedstadt mit den anderen. Den restlichen Weg kann man gut zu Fuß gehen.", antworte ich ihm.

Hand in Hand verlassen wir das Haus und laufen zur Bushaltestelle. Obwohl wir beide schon 18 sind und einen Führerschein haben, ist an diesem Abend kein Auto für uns herausgesprungen, was nicht weiter schlimm ist. Immerhin durfte mich Basti letzte Woche zu unserem Jahrestag mit dem Auto ausführen. Noch jetzt schwärme ich davon, wie romantisch er war. Wir sind in Frankfurt essen gegangen und haben danach einen Spaziergang am Mainufer entlang gemacht, um die vielen Lichter der Skyline zu bestaunen. Und zuletzt zauberte Basti ein Schloss hervor, in das unsere Namen eingraviert waren. Mit einem Lächeln muss ich daran denken, wie wir es an der Mainuferbrücke befestigten und den Schlüssel über das Geländer warfen. Wie im Kino.

„Ich freue mich schon seit Tagen auf den Film.", erkläre ich meinem Freund.

Er schmunzelt. „Darauf wäre ich jetzt nie gekommen.", lacht er. „Ist ja nicht so, dass du mir schon ewig damit die Ohren vollquasselst. Was ich eher seltsam finde, ist deine Wunderheilung. Gestern hängst du noch in der Musikstunde über der Kloschüssel und jetzt ist alles wieder gut?"

„Wie gesagt, ich glaube, ich habe einfach nur etwas Falsches gegessen."

Das Thema ist mir unangenehm. Ich habe meinem Vater nichts von dem Vorfall erzählt und das ist auch besser so. Am meisten Angst habe ich aber davor, dass Nora, meine Therapeutin, etwas erfährt. Ich weiß genau, dass es dann nicht bei einer Sitzung in der Woche bleiben wird.

Den Termin fürs Kino haben meine Freundinnen und ich schon vor zwei Wochen ausgemacht. Allerdings hat Johanna vor lauter Fabian das Kino total vergessen und gerade für heute ihr erstes großes Date ausgemacht. Natürlich haben wir es ihr verziehen, unter der Voraussetzung, dass sie uns morgen alles haarklein erzählen wird. Dafür hat Basti heute die große Ehre, sich auf Johannas Platz die romantische Komödie „Einfach zum Verlieben" anzuschauen. Ich weiß genau, dass er den Film furchtbar langweilig finden wird, aber er kommt mit – mir zuliebe.

Nach etwa 25 Minuten Busfahrt erreichen wir Friedstadt. Es kommen viele Erinnerungen hoch, als ich am Marktplatz aussteige. Früher bin ich hier in die Musikschule gegangen. Aber das ist wirklich lange her. Sabrina sitzt bereits wartend auf einer Bank neben dem Marktplatzbrunnen.

„Hey!", begrüße ich sie und drücke sie einmal fest. 

Dann marschieren wir los in Richtung Kino. Ich bin noch nie in Friedstadt in einem Film gewesen, also laufe ich einfach Sabrina hinterher, die offensichtlich weiß, wolang wir müssen. Wir gehen eine gut beleuchtete, mit Kopfsteinpflaster bedeckte Straße entlang, die von kleinen, alten Häusern umrahmt wird. Alles kommt mir irgendwie bekannt vor. Und als wir an dem großen, gelb gestrichenen Haus vorbeikommen, weiß ich wieso: Es ist die Musikschule. Hier habe ich meinen ersten Klavier- und Geigenunterricht bekommen, hier haben wir so oft geprobt, so viele Stunden verbracht.

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