Szene Q

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Die Tage und Wochen verschwammen ineinander. Für Ellie waren die 24 Stunden, die ein Tag theoretisch zu bieten hatte, mindestens 3 Stunden zu wenig. Sie kam aus der Schule, übte Geige, bis sie ihr Übepensum erfüllt hatte und kam meistens erst am Abend dazu, ihre Hausaufgaben zu erledigen oder für Klausuren zu lernen. So war es kein Wunder, dass ihre Leistungen in der Schule stetig schlechter wurden.
Ihre Mathematiklehrerin hatte Julia bereits zu einem Elterngespräch eingeladen. Ellie hätte gerne gefragt, wie ihre Mutter die Umstände erklärt hatte, aber sie traute sich nicht.

Das Mädchen hatte zweimal in der Woche Geigenunterricht und zusätzlich musste sie noch Kurse an der Hochschule besuchen. Dienstags hatte sie Musiktheorie und Freitags Gehörbildung. Zum Glück hatte Ellie ihre Geigenstunden ebenfalls auf diese Tage legen können, sodass sie sich nur zweimal in der Woche durch den Frankfurter Großstadttrubel kämpfen musste.
Die Wochenenden waren voll mit Konzerten, Wettbewerben oder zusätzlichen Proben. Nie hätte das Mädchen gedacht, dass sich ihr Leben nur durch einen neuen Lehrer, der nicht mehr an der Musikschule in Friedstadt unterrichtete, von jetzt auf gleich ändern würde.

Ständig schaffte Herr Leitner es, Auftritte zu organisieren, bei denen Ellie mit vier weiteren Mitstudenten für kammermusikalische Unterhaltung sorgen sollte. Die Bezahlung war beachtlich. Mit Sicherheit verdiente niemand von Ellies Mitschülern so viel in nur so kurzer Zeit und mit so wenig Aufwand. Schließlich hatten sie nicht lange proben müssen für die paar Streichquintette, die die Truppe fest in ihrem Repertoire hatte.
Die schwarze Garnitur in Ellies Kleiderschrank hatte sich im letzten halben Jahr verdoppelt. Ihr kam es so vor, als würde sie nur noch in Konzertkleidung herumlaufen. Doch irgendwie war sie auch mächtig stolz darauf, als Jungstudentin nun wirklich im Profimusikerleben zu stehen.

Herr Leitner hatte recht behalten: Seit sie bei ihm in der Violinklasse war, konnte ihr niemand mehr das Gefühl geben, besser zu sein oder über ihr zu stehen. Natürlich gab es immer noch genug Personen, die tatsächlich besser Geige spielten. Aber die Situationen, in denen Ellie das erkannte, stachelten sie lediglich an, noch mehr zu üben.

Die wenigen Nachmittage an der Hochschule genoss das Mädchen in vollen Zügen. Zwar war sie die jüngste Studentin aus der Violinklasse, trotzdem verstand sie sich großartig mit den anderen. Dienstags hatte sie zwischen dem Tonsatzkurz und ihrer Geigenstunde fast anderhalb Stunden Pause. In der Zeit saß sie meistens gemütlich in der Sofaecke im ersten Stock und träumte davon, wie es wäre, endlich mit der Schule fertig zu sein, um sich ganz auf das Geigespielen konzentrieren zu können.

Diese 90 Minuten am Dienstag Nachmittag waren Erholung pur für das Mädchen. Es gab niemanden, der ihr sagte, sie solle gefälligst üben gehen, oder Hausaufgaben machen. Sie saß einfach nur auf einem der gemütlichen Sofas und bediente sich von den Leckereien, die auf dem Tisch in der Mitte standen. Auf wundersame Weise stand dort immer etwas zu Essen: Kekse, Salzstangen, Nüsse, Schokolade, manchmal Obst. Einmal hatte sie sich bei einer Schulmusikstudentin erkundigt, wer denn immer für Nachschub sorgte. Diese hatte nur gelacht und gemeint, dass der Professor aus der Schlagwerkabteilung fast jeden Tag etwas mitbrachte. Warum er das tat, wusste sie nicht. Aber mittlerweile war es auch für die Studenten der Musikhochschule zur Normalität geworden, immer mal eine Kleinigkeit für die Allgemeinheit zu spendieren. Eine tolle Tradition, fand Ellie.

Trotzdem konnte sie noch nicht behaupten, wirklich Freunde gefunden zu haben. Die meisten Studenten waren mindestens drei Jahre älter als sie. Zwar waren alle immer freundlich, aber für mehr reichte es nicht.
Freitags war auch Jakob an der Musikhochschule. Für Ellie war es wirklich angenehm, an diesem Tag nicht alleine mit der Bahn nach Frankfurt fahren zu müssen. Diese halbe Stunde war außerdem die Zeit, in der sie ihren Bruder ganz für sich allein hatte.

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