"Da hast du gestern wirklich was verpasst! Die Feier war so cool, vor allem die Modenshow!"
Natalie und Ellie saßen auf der niedrigen Steinmauer, die den Schulhof umgab, und aßen ihre Pausenbrote. Natalie hatte immer die leckersten Dinge dabei: Bei ihr gab es nicht nur ein Brot mit Käse, sondern zusätzlich noch fein säuberlich geschnittenes Obst, Gemüse, ein paar Nüsse und noch einen Müsliriegel. Doch Ellie konnte sich darauf verlassen, immer etwas von der vielfältigen Essensauswahl abzubekommen. Da ihre Eltern entweder vor ihr das Haus verließen, oder aber nach einem langen Konzert ausschlafen wollten, mussten sich Jakob und sie immer selbst um die Pausenverpflegung kümmern. Oder sie bekamen einfach nur zwei Euro in die Hand gedrückt, um sich in der Cafeteria etwas zu kaufen.
Ellie stibitzte sich eine weitere Erdnuss aus Natalies Brotbox und fragte kauend: "Waren eigentlich alle da, die du eingeladen hast?"
"Ja, alle, außer Max. Der durfte nicht kommen, weil er in letzter Zeit nur noch schlechte Noten schreibt. Seine Eltern haben ihm Hausarrest erteilt." Natalie kicherte. "Zum Glück würde meinen Eltern so etwas nie einfallen. Sie sind der Meinung, dass Freundschaften das aller Wichtigste sind."
Ellie nickte zustimmend. Gleichzeitig versuchte sie, das schlechte Gewissen, das sich langsam aber sicher in ihr breit machte, zu verdrängen. Der vorwurfsvolle Unterton war nicht zu überhören gewesen. Denn auch sie war nicht bei Natalies Geburtstagsfeier erschienen. Stattdessen hatte sie mit ihrem Bruder zur Korrepetition gehen müssen.
Es war das erste Mal gewesen, dass ihre Mutter einen Termin an der Frankfurter Hochschule ausgemacht hatte. Und zwar bei einem der renommiertesten Pianisten: Herr Dumont, oder besser gesagt, Monsieur Dumont.
Monsieur Dumont war, wie leicht zu erraten war, Franzose. Für Ellie war er der lustigste Musiker, der ihr je begegnet war.
"Allo, meine Damen und mein Err", hatte er sie mit seinem tollen Akzent begrüßt.
Ellie mochte den Mann mit der Halbglatze, der Brille und der Hakennase von Anfang an. Sie hatten sich in einem kleinen Raum mit großen Fenstern getroffen, der einen fantastischen Blick über die Frankfurter Skyline bot. Die Schränke in dem Zimmer waren voll mit Noten, in der Ecke gab es ein Waschbecken, in dem sich benutzte Kaffeetassen stapelten. Doch in der Mitte des Raums befand sich das Schmuckstück: ein großer, schwarz glänzender Flügel.
"Was aben wir auf den - öh -Programm?", fragte Monsieur Dumont und kramte in seiner Aktentasche. Doch gleich schien es ihm wieder einzufallen, denn ein breites Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. "Ahh, ja. Beet'oven!"
Jakob grinste breit und erklärte, dass sie das Stück nun schon seit fast einem Jahr übten. Ellies Bruder war von Julia in ein blau-kariertes Hemd gesteckt worden, während Ellie eine weiße Bluse, einen Rock und Ballerinas trug. Ihrer Meinung nach waren sie zu aufgetakelt für eine Probe, aber laut ihrer Mutter sollten sie einen besonders guten Eindruck machen. Immerhin konnte es gut sein, dass dieser Mann in ein paar Jahren entscheiden durfte, zu welchem Professor sie einmal kommen sollten.
"Wusstet ihr, dass Beet'oven nicht nur Komponist, sondern auch der Erfinder der Kirchenbe'eizung war?", fragte Monsieur Dumont mit einem verschmitzten Grinsen. Erstaunt schüttelten die Kinder den Kopf.
"Wirklich?", entfuhr es Ellie.
"Ja, immer'in 'eißt er ja auch "Bet-Ofen"!" Die Geschwister prusteten los und auch Julia entlockte der schlechte Witz ein schwaches Lächeln.
Die Korrepetition lief gut. Das Violindoppelkonzert funktionierte hervorragend und Monsieur Dumont lobte die Geschwister überschwänglich. Ellie war begeistert, wie gut sie beide mit dem Klavier harmonierten. Es hatte riesig Spaß gemacht. Wie es wohl wäre, das Werk mit einem richtigen Orchester aufzuführen?
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An deiner Saite
Teen FictionNach dem tödlichen Unfall ihrer Mutter und ihres Bruders versucht Elisabeth zu vergessen. Sie will einfach nur noch das Leben einer normalen Achtzehnjährigen führen, um die Vergangenheit, in der sie Profimusikerin werden sollte, hinter sich zu lasse...