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Der Winter der bald schon nahte bestand in Seoul aus gefrorenem Abfall und heiß gelaufenen Klimaanlage, deren Kodenswassertropfen sich anfühlten, als würde jemand auf einen herunterspucken.

Der Fluss am Olympic Park wurde von einer leichten Eisschicht überdeckt, die bei dem leichtesten Gewicht durchbrechen könnte.

Die Passanten denen Jungkook, Jimin und Taehyung entgegen kamen trugen dicke Thermojacken, die Coffeeshops waren überfüllt von Besuchern die einen heißen, belebenden Kaffee brauchten und kleine Kinder versuchten die fallenden Schneeflocken aufzufangen, bevor sie auf dem Bordstein aufkamen und schmolzen.

Doch das Ziel der drei war weder eines der gemütlichen Cafés noch der Crêpe-Stand, am Rand auf der Brücke, des Flusses, sondern die Wiese mitten im Park.

Sie hatten sich mit einer Zauberglanz-Rune vor den Blicken der Mundies abgeschirmt, die sie sicher für verrückt gehalten hätten, sich in der für den Winter ungeeigneten Kleidung, nach draußen zu trauen.

Nachdem Jimin Jungkooks Rune mit seiner Stele aufgetragen hatte, kamen den ganzen Weg bis zum Park bösartige Kommentare von Taehyung. Wie zum Beispiel, dass Jimin seine Stele direkt in den Müll werfen sollte oder dass sie nun ihre Fähigkeit verloren hätte und nutzlos war.

"Und nun?", fragte Jungkook und pustete in seine Hände, um sie zu wärmen, als sie zum Stehen kamen.

Seine Wangen waren von der Brutalität des Wetters schon gerötet und sein Atem stieß kleine warme Luftwölkchen aus.

"Siehst du den Baum dort?", rief Jimin in diesem Moment und zeigte auf einen Baum.

Die Frage war so dermaßen offensichtlich, dass Jungkook es nicht für nötig gehalten hatte darauf zu antworten, doch bei Taehyungs finsterem Blick murmelte er, Ja, er würde den Baum sehen.

"So, nun deine Aufgabe.", sagte Taehyung distanziert.

"Du wirst auf diesen Baum hinaufklettern, über den Ast dort balancieren ...", er zeigte auf einen dicken Ast am Baum in etwa 7 Meter Höhe, "... und dann herunterspringen."

Jungkook hielt seinen Atem an.

Er sollte sich von einem Baum herabstürzen? Zweifelnd sah er Taehyung an, doch dieser strahlte einen wilden Blick aus und hoffte sehr wahrscheinlich, dass er bei dieser Übung umkommen würde.

"Wie soll ich das überleben?"

Jungkook, der eine bisher viel zu geringe Ausbildung als Schattenjäger hatte, war entsetzt und seine Augen suchten ängstlich den Blickkontakt zu Jimin, der ihm sagen würde, dass das Ganze nur ein Scherz gewesen sei.

Doch dieser blickte ihn aus ernsten Augen an.

"Sei kein Weichei. Oder bist du doch kein Schattenjäger wie du sagtest? Denn echte Schattenjäger fürchten sich nicht vor so einer Kleinigkeit!", sagte Taehyung herausfordernd.

Schwer schluckend schaute Jungkook in die Richtung des Astes der gefährlich im Wind erzitterte.

"Ich kann das!", rief Jungkook entrüstet gegen den Wind an. Er stakste auf den Baum zu, Jimin und Taehyung direkt hinter ihm.

Jungkook hatte schon öfters gesehen, wie Schattenjäger sich aus den unterschiedlichsten Höhen stürzten, er musste es nur nachahmen.

Zögernd näherte er sich dem Baum, wo er als erstes registrierte, dass er trotz seiner vermeintlichen Neigung in Wahrheit ziemlich gerade in die Höhe wuchs.

Und obwohl die Rinde sich rau anfühlte und ihm in die Handflächen schnitt, war sie zugleich auch glatt, so dass seine Füße jedesmal abrutschten, wenn sie Halt suchten.

Als er es schließlich bis auf den Ast schaffte, stand er auf, indem er sich krampfhaft an den Stamm klammerte.

Jetzt, da Jungkook endlich auf dem Ast stand, schien dieser nicht mehr sieben Meter über dem Boden zu schweben, sondern irgendwo weit oben im Himmel.

Das Holz war rund und uneben und glatt wie bei jedem normalen Ast und es sah auch nicht so aus, als sollte man darauf hin und her laufen.

Aber er hatte es jetzt soweit geschafft und konnte die Blicke von Jimin und Taehyung die von unten zu ihm hochsahen auf sich liegen spüren.

Taehyung grinste niederträchtig, wohingegen Jimin einen leicht besorgten Blick aufgesetzt hatte, den Jungkook nicht über dem Weg trauen wollte.

Wieder herunterzuklettern kam also nicht infrage, er musste das hier jetzt hinter sich bringen, damit er zeigen konnte, dass nicht nur Feenblut in seinen Adern floss.

Jungkook wagte sich einen Schritt vorwärts und begann sofort, am ganzen Körper, zu zittern.

Er ging weitere vier Schritte auf den Ast hinaus, drehte sich zur Seite und verlagerte sein Gewicht leicht nach vorne.

Vorsichtig schob er den einen Fuß neben den anderen, dann blickte er zu den steinernen Silhouetten der Gebäude in der Ferne und hinunter zu den beiden Schattenjägern die nicht besonders beeindruckt zu ihm hochschauten.

Er machte einen Schritt vorwärts, durch den Schwung war sein anderes Bein auch vom Ast gerutscht und dann erreichten seine Füße den Erdboden.

Jungkooks ganzer Körper wurde durchgerüttelt, seine Knie gaben nach und er kippte zur Seite.

Dabei vollführte er eine Bewegung, die tatsächlich als Abrollen hätte durchgehen können ... wenn er sich denn abgerollt hätte und nicht in Fötushaltung auf dem Boden liegen geblieben wäre.

Jungkook taten alle Knochen weh, aber er schien sich nicht ernsthaft verletzt zu haben. Der Aufprall hatte ihm die Luft aus den Lungen gepresst und er musste ein paar Mal tief durchatmen.

Er rappelte sich auf und blieb stauchelnd vor ihnen stehen. "Du kannst dich nichtmal richtig abrollen!".

Ein scharfer Schmerz durchzog Jungkooks Hinterkopf, als Taehyung ihn dort geschlagen hatte.

"Du willst ein Schattenjäger sein? Unfähig bist du, nichts anderes!", er funkelte ihn aus tobsüchtigen Augen an. "Du wolltest etwas beweisen? Gib lieber auf, es ist eine Zeitverschwendung."

Taehyung machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Masse der Touristen, die gerade den Springbrunnen auf der gegenüberliegenden Seite fotografierten.

Jungkooks Hände fingen an zu zittern und er ballte sie zu Fäusten. Seine Augen starr auf den gefrorenen Boden, auf dem er kurz vorher aufgekommen war, gerichtet.

"Kopf nach oben!", schrie Jimin ihn an und erschrocken folgte Jungkook seinem Befehl.

"Und jetzt wieder auf den Baum!"

Oh nein, dachte Jungkook.

Er stolperte wieder auf den Baum zu, als Jimins Stimme ihn inne halten ließ.

"Warte.", sagte er in einem sanfteren Tonfall und kam zu ihm herüber. Er zog seine Stele aus seiner Hosentasche und trug eine Wärme-Rune auf seinem Unterarm auf.

Eine angenehme Wärmewelle durchflutete Jungkooks ganzen Körper und erleichtert atmete er aus.

"Danke."

Jimin blickte ihn aus dunklen Augen an, seine Gesichtszüge waren hart, doch ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.

"Jimin? Meinst du ... er hat recht? Ist es für mich unmöglich ein echter Schattenjäger zu werden?"

Jimin senkte seinen Blick und wirkte betrübt. Sein Lächeln verschwand.

"Unmöglich bedeutet, es nochmal zu versuchen.", sagte er mit einer leisen Stimme, die so behutsam klang, dass Jungkook denken könnte Jimin würde ihn doch leiden können.

Dann nickte er nur zum Baum, dem sich Jungkook mit etwas weniger Angst als zuvor widmete.

Metanoia || JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt