Kapitel 2

4.6K 161 109
                                    


Kapitel 2


Aurelia Bergmann


Es war gerade einmal acht Uhr am Morgen, als ich am nächsten Tag Raguccis Wohnung aufschloss. Mein Tag war vollgepackt mit Terminen und so war ich bereits seit halb sechs auf den Beinen. Ich brauchte morgens einfach meine Zeit, um wach zu werden, ein paar Liter Kaffee zu trinken und fertig zu werden.

Es war dunkel, ich schaltete die Deckenbeleuchtung auf seinem Flur ein, zog meine Schuhe aus und stellte sie neben ein riesengroßes, schneeweißes Paar Nike Air. Davon schien Ragucci wohl mehrere zu besitzen.

Er hatte am Vortag schon gesagt, dass er das Haus bereits um sieben verlassen würde, somit hatte ich freie Bahn. Ich würde mit Sicherheit drei Stunden für sein Chaos brauchen plus die Bügelwäsche, die ich für ihn erledigen sollte. Das hatte er mir gegen halb sieben schon per Whats App geschrieben. Die moderne Art für Arbeitsaufträge.

Ein wenig wunderte es mich, dass er mich wirklich so mir nichts dir nichts allein in seine Wohnung ließ, nachdem er so ein Geheimnis aus sich gemacht hatte. Doch scheinbar schien ich sein Vertrauen geweckt zu haben. Vielleicht durch mein so einfaches Erscheinungsbild, durch meine Art. Ich wusste es nicht und wenn ich ehrlich war, war es mir egal. Ich hatte es ernst gemeint, es war mir auch egal, wer er war, solange er pünktlich und passend mein Gehalt auf mein Konto überwies.

Wahrscheinlich gehörte ich damit zu einer Minderheit doch ich hatte seinen Namen nicht mal durch eine Suchmaschine gejagt. Ich hatte anderes zu tun gehabt, habe lieber meine Mitbewohner und Nachbarn mit meinen Proben in den Wahnsinn getrieben. War eben so, wenn ich klassischen Gesang proben musste konnte es schon mal laut werden.

Am Nachmittag stand ein Vorsingen an, wahrscheinlich das Wichtigste in meinem bisherigen Leben. Ein Vorsingen, eine Art Casting für ein Stück in der Staatsoper Berlin in der nächsten Saison. „Carmen", eine Oper und ich war wirklich so dämlich gewesen, mir zu überlegen, für die Hauptrolle vorzuspielen. Ich durfte gar nicht daran denken, denn dann kroch mir die Nervosität ekelhaft den Rücken hinunter. Nicht, weil ich es nicht konnte. Sondern weil es einfach völlig bescheuert war, anzunehmen, ich hätte den Hauch einer Chance, in diesem Stück mitzuwirken. Geschweige denn, die Hauptrolle zu übernehmen.

Ich atmete durch, hängte endlich meinen Mantel an Raguccis Garderobe und machte mich ans Werk. Das Geschirr in seiner Küche befand sich noch immer im Geschirrspüler, die Shaker noch immer im Spülbecken. Scheinbar war er ohne Frühstück aus dem Haus, lediglich eine weitere Espressotasse stand neben unseren Tassen vom Vortag. Eine Schachtel Gauloises lag daneben, schwach hing der Geruch von Zigarettenrauch noch in der Luft. Sehr ausgewogenes Frühstück. Espresso und Kippe, kein Wunder, dass er irgendwie müde und angematscht ausgesehen hatte bei so einer Ernährung.

Es war still in der Wohnung, lediglich das Summen des Kühlschranks und das Ticken der Küchenuhr durchbrachen die Ruhe. Das erste, graues Tageslicht drang durch das Fenster und ich machte mich daran, das Geschirr aus und einzuräumen. Eigentlich war der Job nicht der schlechteste. Ich hatte eine fast freie Zeiteinteilung, mir ging niemand auf die Nerven und ich konnte mir nach und nach alles so strukturieren, wie ich es wollte. Es war nicht der erste Job dieser Art für mich, ich kam zügig voran. Ragucci hatte mir am Vortag bereits gezeigt, wo ich Putzmittel, Staubsauger und solche Sachen fand. Ein Blick in die kleine Abstellkammer verriet, dass ich ihn einkaufen schicken musste. Ich schnappte mir das Putzmittel und war tatsächlich recht zügig mit der unteren Etage fertig.

Ich stieg die Wendeltreppe hinauf, kam in das Wohnzimmer. Irgendwie gefiel mir Raguccis Einrichtung, sie passte zu ihm. Die dunklen Möbel, elegant und man sah irgendwie, dass ein Mann dort lebte und nicht ein achtzehnjähriger, der vor drei Wochen zu Hause ausgezogen war. Mein Blick fiel auf das schwarze Klavier zu meiner Linken. Ragucci sah nicht wie jemand aus, der sich für klassische Musik interessierte und ich fragt mich, ob er wirklich darauf spielen konnte. Ich verkniff es mir, mich selbst daran zu setzten, seufzte lieber, als ich zwei leere Flaschen Rotwein und drei Weingläser auf dem Couchtisch stehen sah. Scheinbar hatte er noch Besuch gehabt.

In between  /RAF CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt