Kapitel 5

4.8K 130 52
                                    


Kapitel 5

Aurelia Bergmann

Eine Woche war seit meinem Telefonat mit Ragucci vergangen. Nach meinem „Nein" hatte ich einfach aufgelegt und jeglichen Versuch von ihm, mich erneut zu erreichen ignoriert. Natürlich brauchte ich diese Chance eigentlich Ich brauchte den verdammten dritten Job. Aber nicht auf diese Weise. Nicht für jemanden, der scheinbar überzeugt davon war, dass die Welt nach seiner Pfeife tanzte.

Je mehr ich nachdachte umso wütender machte es mich. Dieser arrogante Blick, dieses freudlose Lächeln. Wie er so von oben herab gesprochen hatte. Wie er geglaubt hatte, er könne einfach anrufen und alles wäre wieder in Ordnung. Mit mir nicht. Doch wenn ich mich nicht gerade hineinsteigerte konnte ich meine Begegnung mit Ragucci gut vergessen.

Es war gegen sechzehn Uhr am Nachmittag und ich schob Schicht im Café. Es war gut besucht, meine Kollegin Rahel und ich rannten uns die Füße wund, während wir verschiedenste Bestellungen zu den Tischen trugen. Am Morgen Frühstücksbuffet,Mittags kleine Snacks, am Nachmittag Kaffee und Kuchen, am Abend verwandelte sich der Laden in eine Bar. Ich mochte das Café und obwohl es stressig war arbeitete ich gerne dort. Meine Kollegen waren super und auch meine Vorgesetzen bombe.

Der Februarnachmittag war kühl und dunkel und ich war froh, nicht draußen sein zu müssen. Rahel brachte Getränke zu einem der Tische, ich beobachtete, wie sie mit dem jungen Mann mit Vollbart schäkerte. Ich wette auf ein gutes Trinkgeld, wenn nicht sogar einen kleines Zettel mit Handynummer zum Abschied. Rahel passierte das häufig, sie war eine dieser bildhübschen Frauen, die locker für das Cover der Vouge abgelichtet werden könnten.

Schlank, trotzdem perfekte Rundungen. Das dunkelbraune Haar glänzte, ihre Haut goldbraun und weil sie nicht sowieso schon außergewöhnlich hübsch war, waren ihren Augen von einem solchen dunkelblau, dass ich vor Neid noch blasser wurde, als ich es sowieso schon war. Kurz biss ich mir auf die Unterlippe, als ich sah, wie sie fröhlich auflachte. Wie die Augen des Typen funkelten.

Es war nicht so, dass ich nur noch das aus der Restetruhe abbekam- doch ich kann mich nicht entsinnen, je so angesehen worden zu sein. War man hübsch machte es das Leben um einiges leichter. Bildete ich mir zumindest ein.

Seufzend machte ich die heiße Schokolade und den Vanilla Latte Macchiato für Tisch neun fertig, damit Rahel es zügig wegbringen konnte. Fein säuberlich ordnete ich die Tasse und das Glas auf einem Tablett an, legte den Keks dazu, nahm die fertigen Waffeln vom Waffeleisen und verfeinerte beides mit Puderzucker und Sahne, ehe Rahel auch schon zurück kam.

Kurz blies sie die Wangen auf, stieß Luft aus und wischte sich mit dem Handrücken den imaginären Schweiß von der Stirn, um mir klarzumachen, dass es anstrengend war. Trotzdem sah sie perfekt aus- im Gegensatz zu mir wahrscheinlich. Ich nickte meiner Kollegin zu, lächelte und schob ihr das Tablett herüber, als ich hörte, wie die Tür des Cafés aufging. Wie automatisch sah ich auf.

Eine große Gestalt, in einem schwarzen Mantel, Kapuze auf dem Kopf, tief ins Gesicht gezogen. Trotz des beschissenen Wetters draußen trug der Kerl Sonnenbrille. In der linken Hand hielt er einen Jutebeutel, unter dem rechten Arm trug er eine Packung Klopapier- extra strong. Für einen Moment sah er sich hektisch um, ehe ich seinen Blick auf mir spürte und er auf den Tresen zukam.

„Ginger!", drang eine tiefe Stimme an mein Ohr, ein Hauch Erleichterung schwang darin mit. Und ich fragte mich verwirrt, was in diesem Moment abging. Umständlich zog er sich die Sonnenbrille von der Nase und endlich registrierte ich, wer dort vor mir stand.

Ragucci sah fast schon lächerlich aus in seinem triefend nassen Mantel und dem Klopapier unterm Arm. Ich hätte gelacht, hätte er nicht im Gesicht ausgesehen, wie das Elend persönlich. Seine Haut viel blasser als vor einer Woche noch, die Augenringe so tief, dass es schon nicht mehr gesund sein konnte, seine Wangen unrasiert und das sein Gesicht im Halbschatten der Kapuze lag, machte den Anblick nicht besser.

In between  /RAF CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt