Kapitel 50

4.3K 123 126
                                    

Kapitel 50

Aurelia Bergmann

Oktober 2019

„Es ist ja schön, dass du Urlaub brauchst aber du hättest es mit mir absprechen können.", fluchte ich lautstark in mein Handy, während ich die Tür zu Raphaels – und inzwischen auch meiner- Wohnung aufschloss, sie mit dem Ellenbogen zu öffnen versuchte, während ich Einkaufstüten in meinen Händen balancierte und das Smartphone zwischen Schulter und Ohr geklemmt hatte. „Verdammte Scheiße nochmal!". Meine Kehle schnürte sich zusammen und Tränen stiegen mir in die Augen. Ich war mit den Nerven durch, meine Schwangerschaftshormone rasteten regelmäßig aus und mich brachten schon Kleinigkeiten auf die Palme.

Das Geräusch von reißendem Papier ertönte, ein Rumpeln und die Hälfte meines Einkaufs landete vor unserer Wohnungstür. Es ärgerte mich maßlos, drei Äpfel rollten auf die Treppe zu und kullerten anschließend die Stufen herunter. Die Wut kochte hoch, mein Blick verschwamm und am liebsten hätte ich alles hingeschmissen.

„Aurelia, ich habe dir gesagt, dass ich meinen Freiraum brauche und mich nicht einengen lasse.", sagte Theo am anderen Ende der Leitung. „Und wenn mir danach ist, spontan auf die Kanaren zu fliegen, dann ist das so. Ich bin Künstler, Schatz. Ich muss kommen und gehen können, wann ich will. Du bist zu diesem Idioten gezogen anstatt zu mir, sag mir welcher Mann außer mir das mitmachen würde? Die Freundin in einer WG mit einem einzigen anderen Mann, von dem sie ein Kind erwartet? Für den Freiraum, den du hast, kann ich mir jawohl einen Urlaub genemigen, auch, wenn er spontan ist."

„Schön. Dann flieg doch. Von mir aus nach Timbuktu.", fauchte ich und ohne ein weiteres Wort legte ich auf. Vollidiot. Künstlerischere Freiheit. Was die mit einem Spontanurlaub auf den Kanaren zu tun hatte, wusste sich nicht. Aber mein Freund hatte sie am Morgen entschieden, mit zwei seiner Kumpel einen spontanen Trip zu unternehmen. Keine Ahnung, woher er auf einmal das Geld dafür hatte und es ärgerte mich, dass er ohne mich fliegen wollte. Und, ohne es mit mir abzusprechen. Am nächsten Tag wolle er bereits fliegen und hatte mich dabei völlig außen vor gelassen. Eigentlich kein Weltuntergang- aber mein Hormonspiegel tanzte mir auf der Nase herum und machte aus jeder Mücke einen Elefanten.

Unkontrolliert liefen mir Tränen über die Wangen, ich stellte meine Tüten ab, stopfte mein Smartphone in meine hintere Hosentasche und kniete mich hin, um die Einkäufe wieder aufzusammeln.

Hinter mir vernahm ich Schritte auf der Treppe, überrascht fuhr ich herum.

„Was ist denn hier los?"

Raphael tauchte ab Treppenabsatz auf- Jeans, Designersneakes , leichte, schwarze Jacke, die Haare zu diesem kleinen Zopf gebunden, seine geliebte Ledersporttasche in der einen und die drei verlorenen Äpfel der anderen Hand. Ich hatte noch gar nicht damit gerechnet, dass er schon zurück kam, am Morgen hatte er noch erzählt, wie viele Termine anstanden. Er war viel beschäftigt, wenn er in Berlin war. Erst, seit ich mit ihm zusammenlebte war mir so wirklich bewusst geworden, wie viel Lebenszeit er eigentlich in Wartehallen und Flugzeugen verbrachte, wie oft er eigentlich durch die Welt jettete und wie wenig Ruhe er hatte. Und trotzdem hatte ich bisher nie das Gefühl gehabt, dass er mich allein ließ- selbst, wenn er zum gefühlt siebzigsten Mal innerhalb von drei Wochen nach Barcelona flog um dort was- weiß – ich- nicht- zu machen.

Bei Theo hatte ich dieses Gefühl schon. Es ärgerte mich einfach, dass er abhaute. Er war dann auch einfach nicht erreichbar für mich, brauchte Zeit zum abschalten, oft dann, wenn ich aufgrund meines Gedankenkarussells verzweifelt war und jemanden gebraucht hätte, der für mich da ist.

Ich verstand Theo auch irgendwo aber ich fragte mich, wie er sich dann bitte vorgestellt hatte, mit mir und einem Kind zusammen zu leben.

Raphael rief sogar von sich aus an – manchmal kam es mir beinahe übertrieben vor. Aber irgendwie war es lieb und süß, wie besorgt er war.

In between  /RAF CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt