Kapitel 4

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Kapitel 4

Aurelia Bergmann


„... dann hab ich ihm gesagt, er solle sich mal den Sack rasieren und bin gegangen.", schloss ich meine Erzählung. Ich hob die große Tasse mit meinem Cappuccino an die Lippen, nahm einen Schluck und sah meine Freundinnen abwechselnd an.

„Hast du nicht gesagt.", entfuhr es Mila. „Aurelia, du brauchst den Job. Du kannst deine große Klappe nicht beliebig aufreißen.", tadelte sie. „Der hätte dich gut bezahlt und nur, weil er dir einmal quer kommt schmeißt du alles hin. Unfassbar." Sie schüttelte ihren Kopf, fuhr sich mit der Hand über ihr dunkelbraunes Haar. Sie sah hübsch aus, etwa so groß wie ich, schlank. Ihre Haut war milchkaffeebraun, ihre Augen schimmerten Honigfarben, wenn Licht hineinfiel. Mila war die konventionellste von uns dreien, in ihrem dunkelblauen Pulli, aus dessen Ausschnitt der Kragen ihrer weißen Bluse lugte. Sie trug Perlohrringe, eine passende Kette und ihre Mundwinkel vorwurfsvoll verzogen. Wir kannten uns von der Uni, Mila hatte Kirchenmusik studiert – irgendwie passte es zu der manchmal schon zu angepassten jungen Frau.

„Ähm...hast du Aurelia nicht zugehört? Der Typ war ein frauenverachtendes, sexistisches Arschloch. Hast du nicht mitbekommen, wie er mit den Mädels und Aurelia umgegangen ist? Er hat sie dazu noch beleidigt. " Kathy schüttelte angeekelt den Kopf. „Ich hätte dem noch etwas ganz anderes vor den Kopf geknallt. Für wen hält der sich?", fluchte sie.

Kathy war der krasse Kontrast zu Mila. Pumphosen, mit kleinen Perlen verzierte, blonde Dreadlocks und wohl das, was der allgemeine, besorgte, deutsche Bürger als „linksgrünversift" bezeichnete. Mit veganem Kaffee in der Hand dümpelte sie schon ein paar Semester zu lange in ihrem Studium der bildenden Kunst herum. Sie sah sich als Klimaaktivistin, war Feministin und sooft auf irgendwelchen Demos unterwegs, dass ich es nicht mehr zählen konnte. Manchmal ging ich mit- teilweise blieb ich lieber zu Hause.

Manchmal fragte ich, wie drei so unterschiedliche Charaktere miteinander befreundet und in einer WG leben konnten. Ich selbst war etwas wie das Bindeglied. Weder das eine Extrem noch das Andere. Wie immer, der Durchschnitt, irgendetwas dazwischen. Nichts Besonderes.

„Eben, Mila. Hast du nicht gehört?", klinke ich mich wieder in das Gespräch ein.

„Vielleicht war er angerfressen, weil du ihn zuvor schon geärgert hast, als du ihn wegen der Frauen zurechtgewiesen hast." Mila nahm einen Schluck ihres Latte Macchiato. „Manchmal muss man sich mit seiner Meinung eben zurückhalten.", fand sie.

„Nein, wenn es um Courage geht muss man sich niemals zurückhalten. Relia hat es genau richtig gemacht. Nur, weil er ein Mann mit Geld ist gehört ihm nicht die Welt. Und Respekt vor anderen hat auch noch niemandem geschadet."

„Richtig.", pflichtete ich Kathy bei. „Ein wirklich merkwürdiger Typ. Oberflächlich gesehen zumindest okay. Aber das, was er danach an Verhalten an den Tag gelegt hat...sorry, mit solchen Leuten arbeite ich nicht. Wenn jeder bei sowas wegsieht lernen die Leute nie Akzeptanz und Toleranz."

„Akzeptanz und Toleranz bedeutet auch, dass ihr hinnehmen müsst, wenn Frauen gerne mit solchen Männern ausgehen und sich wohlmöglich ausnutzen lassen.", warf Mila ein.

„Das können sie gerne tun. Aber trotzdem kann dieser Typ sie respektvoll behandeln.", schoss.

„Und Relia seine benutzen Kondome aufsammeln lassen, sie wegen ihres Äußeren beleidigen und dann auch noch vor ihr blank ziehen... sorry, ich akzeptiere keine Arschlöcher. Ich will nicht wissen, was du gemacht hättest, hätte dein Vorgesetzter dir seinen Penis gezeigt. " Kathy deutete mit ihrem Zeigefinger auf Mila, ehe sie mich ansah und wir uns zunickten. Wir waren uns da so ziemlich einig.

In between  /RAF CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt