Kapitel 43

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Kapitel 43


Aurelia Bergmann


Der Schlag kam am nächsten Morgen. Nie hatte ich mir so wirklich den Moment ausgemalt, in dem ich erfahre, dass ich schwanger bin. Aber irgendwie hatte ich ihn mir schöner vorgestellt. So typisch, wie in einem Film.

Ich, in einer festen Beziehung, in klaren, finanziell geklärten Verhältnissen und das Kind in mir ein Wunschkind. Eine Karriere, die läuft, einen Mann, der mich liebt. So in etwa war die grobe Vorstellung meiner Voraussetzungen für eine Schwangerschaft. Mein Kind hätte ein Wunschkind sein sollen. Geplant. Entstanden, weil ich und mein Partner uns liebten und eine Familie wollten.

Erst, als niemand dort stand und sich freute begriff ich, dass ich mir auch das gewünscht hatte. Irgendwo in meinem Unterbewusstsein, dort, wo ich noch nie darüber nachgedacht hatte. Dass mein Mann dort steht, gespannt auf das Ergebnis, in der Hoffnung, dass es positiv ist.

Es war ein Gefühl des Nichts, als der digitale Test nur einen Moment brauchte, um schwanger anzuzeigen.

„Relia?", hörte ich Milas Stimme. Ich schluckte, nahm das weiße Ding mit der blauen Verschlusskappe und lief aus dem Bad, vor dessen Tür meine Freundinnen warteten.

„Schwanger.", verkündete ich und merkte, dass die Stimme, die das sagte, nicht meine Eigene war. Sie klang fremd, unendlich weit weg von mir. Mechanisch, falsch und nicht nach mir. Unfassbar schwer fühlte sich dieser verdammte Test in meiner Hand an, der innerhalb von ein paar Minuten mein Leben auf den Kopf gestellt hatte.

„Scheiße.", entfuhr es Kathy und Mila wie aus einem Mund. Mitleidige Blicke, auch bei ihnen kein Funken von Freude, denn uns allen dreien war bewusst, wie beschissen die Situation war.

„Himmel, Relia, wie kannst du so blöd sein.", stieß Kathy hervor und sah mich an. „Sicher, dass es von diesem Ragucci ist? Ich könnte schon kotzen, wenn ich den Namen sagen muss. Mir wäre lieber, du wüsstest nicht, wer der Vater ist. Lässt sie sich von diesem übergriffigen Idioten flachlegen und verhütet nicht mal. Man Aurelia, wo war dein Verstand?"

„Kathy, geht's noch?", sprang Mila dazwischen. Entgeistert sah sie unsere Freundin an. „Es ist beschissen genug, du kannst ihr jetzt nicht auch noch Vorwürfe machen. Ja, sie hatte Sex mit dem übergriffigen Idioten, ja, sie haben nicht verhütet und ja, sie ist jetzt schwanger von dieser Ragucci.", brachte sie alles nochmal auf den Punkt. „Sie jetzt auch noch runter zu machen bringt niemandem etwas. Wir müssen schauen, wie es weiter geht."

„Wie soll es weiter gehen?" Kathy fuhr sich durch ihre blonden Dreadlocks. „Wir gehen mit ihr zu einer diesen Beratungsstellen, sie holt sich einen Beratungsschein, macht einen Termin beim Arzt und weg damit. Ich glaube nicht, dass sie jetzt ein Kind gebrauchen kann. Jetzt, wo ihre Karriere in Schwung kommt, wo die Vorstellungen beginnen und vor allem jetzt, wo wir bald auf der Straße sitzen, weil dieser verdammte Vermieter uns rausschmeißt. Und vor allem von so einem Mann." Kathy schüttelte den Kopf.

„Spinnst du?" Mila stand der Mund auf. „Hier wird nichts abgetrieben. Wir schaukeln das mit ihr, wenn sie es behalten möchte. Außerdem ist Ragucci Multimillionär, der kann zumindest Unterhalt zahlen."

„Als würde ein Typ wie der Unterhalt zahlen.", schnaubte Kathy. „Sorry, der ist bei mir unwiederbringlich unten durch, dieser...ich will nicht mal sagen Mann, weil er das in meinen Augen nicht ist."

„Er muss zahlen, wenn er der Vater ist. Da kommt er nicht drum rum", fuhr Mila sie an. Die Luft zwischen meinen Freundinnen war aufgeladen und ich stand einfach nur daneben und nahm die Worte der beiden wie durch eine dicke Schicht Watte wahr. In meinem Kopf drehte sich alles, tausende Bilder, Gedanken, Gefühle prasselten auf mich ein. Was sollte ich tun? Ich wollte kein Kind. Schon gar keines von Raphael. Vor allem nicht zu diesem Zeitpunkt, an dem ich keinerlei finanzielle Absicherung besaß und mein Erspartes reichte, um eine Mietkaution und ein Babybett zu kaufen- wenn die Mietkaution nicht zu hoch war. Wie sollte ich schwanger und ohne festen Job eine halbwegs vernünftige Wohnung finden? Ich sah mich innerlich schon im Plattenbau eines sozialen Brennpunktes leben. Aus der Traum meiner Karriere an der Oper, als alleinerziehende Mutter in Berlin müsste ich mehrere Jobs haben, um über die Runden zu kommen. Ich stieß Luft aus, meine Kehle schnürte sich zu und meine Augen brannten.

In between  /RAF CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt