Kapitel 27

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Kapitel 27

Aurelia Bergmann

Mein Zimmer lag im Halbdunkeln, ich sah Raphaels Silhouette schemenhaft im den Licht der Straßenlaternen, das von unten schwach zu uns hinauf schien. Er zog an seiner Zigarette.

„Lana war die Frau, die ich heiraten, mit der ich eine Familie gründen wollte.", sagte er. „Vor drei Jahren, bevor mein Hype so richtig kam, war sie schwanger – sie hat das Kind verloren, als meine Karriere richtig los ging und ich war zu weit weg, um für sie da zu sein, als es passiert ist." Erneut zog er hektisch an seiner Kippe und sagte gar nichts. Natürlich war ein solcher Verlust schlimm aber das und auch alles, was danach kam war keinerlei Rechtfertigung dafür, mir gegenüber in irgendeine Form gewalttätig zu werden. Und doch ließ ich ihn reden. Er war absolut nicht stabil ich war mir nicht sicher, auf was für Gedanken er gekommen wäre, hätte ich ihn rausgeworfen. Das bedeutetet nicht, dass ich ihm verzieh. Das bedeutete, dass ich Sorge um eine noch größere Katastrophe hatte. Ich konnte beinahe greifen, wie sehr er sich selbst in diesem Moment hasste und sein Kopf hatte schon einmal ausgesetzt.

„Es war ein kleiner Junge. Elian Ragucci", murmelte er. „Er war gerade so schwer, dass er eine Totgeburt war und keine Fehlgeburt. Aber es war alles dran- ein ganz kleiner Mensch und er hätte nur noch wachsen müssen." Raphael schluckte und das zweite Mal an diesem Abend stahlen sich Tränen in die braunen Augen. Eigentlich hätten sie mich gerührt- aber sie taten es in diesem Moment nicht, zu wütend war ich auf ihn. Tief atmete ich durch, zog ebenfalls an meiner Zigarette, deren Asche auf meinen Boden viel. Ein Zimmer, wie ein Schlachtfeld.

„Habt ihr ihn beerdigen können?", fragte ich leise.

„In Wien.", wisperte Raphael. „In einem kleinen Grab. Ich gehe noch immer dahin und besuche ihn. Er war noch so klein aber trotzdem war er mein Sohn, ich weiß nicht, ob du das verstehst." Er sah kurz zu mir herüber, ich nickte. „Das tut mir Leid für dich und die Mutter.", murmelte ich. Kind war Kind, fertig aus.

Raphael vertraute mir in diesem so unpassenden Moment wohl eines der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte an. Vielleicht war es der große Knall, den er gebraucht hatte, einen tiefen Einschlag und den Schock, über das, wozu er inzwischen fähig war, um ihn endlich reden zu lassen.

„Ich habe das nie überwunden, bis heute nicht. Weil ich glaube, dass ich für all das, was ich habe, meine Seele verkauft habe. Ich frage mich immer, ob ich genau an diesem Punkt wäre, an dem ich in meiner Karriere jetzt bin, wäre Elian wie jedes andere Kind geboren worden. Ich und Lana wären noch zusammen, vielleicht hätten wir noch ein weiteres Kind und ich hätte meine Karriere hinten angestellt. Ich weiß nur, dass ich jeden Euro auf meinem Konto hergeben würde, damit Elian lebt."

„Warum erzählst du mir das jetzt? Was hat es mit dem zu tun, was hier passiert ist?", fragte ich. Ich hörte selbst, dass ich ungerührt klang. Aber ich fand das mehr als gerechtfertigt. Ich hatte weder vorgehabt ihn zu trösten noch ihn zu umarmen, noch ihn bei mir zu lassen. Ich hörte ihm zu. Für diesem Moment. Und dann sollte er gehen.

„Weil ich mit dem Tod von Elian nicht umgehen konnte, weil ich in Selbsthass versunken bin habe ich Lana auch verloren. Ich konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen, weil ich mich so schuldig gefühlt habe und anstatt ein Mann zu sein, habe ich den Versuchungen nachgegeben. Das Leben schien so leicht... Frauen, Sex, Drogen, Geld ohne Ende, das Leben eine einzige Party. Und ich habe diesen einfachen Weg genommen, um zu vergessen und am Ende auch Lana damit zerstört. Lana hat inzwischen ein gutes Leben – nur ich bin hängen geblieben. Sie war schon immer die stärkere von uns beiden."

Lachte freudlos auf, drückte seine Kippe aus, zündete eine weitere an und starrte in die Nacht. Ich schluckte. Verstand, was er meinte, was er sich vorwarf und doch bot es keinerlei Erklärung.

In between  /RAF CamoraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt