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Mit zitternden Fingern hob ich das Bich auf und betrachtete den Umschlag. Es war ein sehr kitschiges Buch, das wusste ich noch vom Lesen. Tom hatte Annemare am Ende geschwängert und dann verlassen, weil er, so hatte er es gesagt, sich um wichtigere Dinge kümmern musste. Anfangs hatte Annemare getrauert, dann war ihr aufgefallen, wie komisch Tom bei seinem letzten Besuch gewesen war.

Sie hatte einen anderen Mann kennengelernt und ihre Tochter großgezogen, ein sehr schönes Mädchen, das eine beinahe zauberhafte Ausstrahlung und einen kleinen Hang zu Boshaftigkeiten hatte, ehe sie in Glasgow gestorben war.
Alles klang nach einem beschaulichen, ruhigen Leben, das im Epilog beschrieben wurde.

Ich hatte das Interesse an dem Buch verloren und hatte mich gefragt, was mich jemals daran gefesselt hatte.
Der Mann auf dem Umschlag hatte dunkle, braune Haare und trug ein weißes Hemd, er lächelte, aber das Lächeln wirkte ein wenig verzerrt.
Am Ende hatte gestanden, dass die Autorin, Belle Huntington, ihre eigene Geschichte beschrieben hatte und das Cover selbst gestaltet hatte.
Es war gezeichnet.
Sie hatte versucht, ihre Erinnerung an Tom zu verbildlichen.

Bis jetzt hatte ich immer gedacht, dass Belle-Anne-was-auch-immer einfach nicht so perfekt Zeichnen konnte und das Lächeln deswegen so verzerrt war, aber was, wenn dieser Tom wirklich so gelächelt hatte?
Verärgert schüttelte ich den Kopf.
Das war das Buch einer Muggel-Frau. Das war unwichtig.
Ich musste mich auf andere Dinge konzentrieren.

Mir lief ein kalter Schauder über den Rücken. Hatte ich es mir nur eingebildet oder war Wurmschwanz wirklich in meinem Zimmer gewesen?
Ich schluckte geräuschvoll, als mir klar wurde, wie oft dieser ekelhafte, schmierige Mann schon bei mir gewesen sein konnte. Wenn ich schlief, eine Ratte an meinem Bett. Wenn ich mich mit Draco traf, eine Ratte bei uns.

Dieser Gedanke verursachte bei mir Gänsehaut. Die Türe öffnete sich und Madame Pomfrey trat ein.
Sie sah erschöpft aus.
Zwar gab es dieses Jahr kein Quidditch-Turnier, aber die Erstklässler spielten es trotzdem mit Madame Hooch, die es für wichtig hielt, dass jeder zumindestens Fliegen konnte.

Nun war es aber so, dass vor allem Erstklässler im obligatorischen Flugunterricht sehr häufig Unfälle bauten. Wenn im Frühling der Boden weich war, war das nicht unbedingt ein Problem, bei hartem, gefrorenen Boden kam es aber oft zu Knochenbrüchen, Sehnenrissen und Gehirnerschütterungen.
Heute war anscheinend ein größerer Unfall mit acht Verletzten passiert, die allesamt sehr wehleidig schienen und Pomfreys gesamte Zeit beanspruchten- dafür hatte sie sich vorhin bereits entschuldigt.

,,Miss Granger, lassen wir uns über die Diagnose sprechen." Sie sah mich mit einem ernsten, forschenden Blick an und räusperte sich, als ich nickte.
,,Sie haben keine Vorerkrankungen und Ihr letzter Besuch im Krankenflügel liegt jetzt ziemlich genau zwei Jahre zurück, das lässt auf ein sehr gutes Immunsystem schließen."
Wieder nickte ich.
Dank meinen Muggel-Ärzten-Eltern wurde ich aber auch mit vielen Medikamenten versorgt, die mir erlaubten, kleinere Erkältungen selbst zu kurieren.

,,Ich vermute, dass die Gründe Ihres momentanen Zustandes eher psychosomatisch sind. Haben Sie in letzter Zeit viel Stress oder Ähnliches gehabt?"
Stumm nickte ich zum dritten Mal. Ja, hatte ich, aber das konnte ich ihr schlecht erklären. ,,Gut. Sie haben durch Ihr Erbrechen viele Elektrolyte und Flüssigkeit verloren, die ich Ihnen mithilfe einer Infusion während Sie bewusstlos waren, wieder zugeführt habe. Sie müssen heute Nacht noch im Krankenflügel bleiben, ab morgen können Sie wieder zum Unterricht. Jedoch sind Sie bis auf weiteres von Hausaufgaben freigestellt."

Ich lächelte.
Die Gründe für meine Aufregung lagen wo anders, aber das durfte ich nicht sagen und so nickte ich nur. Plötzlich lächelte auch Miss Pomfrey.
,,Miss Granger, Miss Granger. Ich erinnere mich noch daran, wie Sie als einzige und erste Schülerin seit mindestens zwanzig Jahren einen Zeitumkehrer beantragt haben. Mitleidig war ich da, das muss ich ganz ehrlich sagen.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine 13-Jährige all das meistern kann, aber Sie haben uns alle unheimlich stolz gemacht, das ganze Kollegium."

Ich hüstelte leise, aber sie bemerkte es nicht. Nein, nicht das ganze Kollegium, Snape nicht.
Snape, Mr. X- ein flaues Gefühl breitete sich in mir aus und ich hatte Mühe, der Heilerin weiter zu lauschen.
,,Albus, habe ich gesagt, Albus. Warum tust du ihr das an? Sie ist doch noch so jung, sie weiß nicht einmal, was sie wirklich will. Und wissen Sie, was er geantwortet hat?"

Das war mit Sicherheit eine rhetorische Frage, aber ich verneinte sie trotzdem und richtete mich ein Stück weiter im Bett auf.
,,Er hat gesagt, dass er Sie für eine der klügsten Hexen hält, die Hogwarts je betreten haben. Und dass er sich ganz sicher ist, dass Sie einmal Ministerin werden und der Zaubererwelt zeigen, dass es nicht auf die Abstammung sondern auf die Leistung ankommt."

Jähe Freude überkam mich.
Von Albus Dumbledore so etwas zu hören, war mehr als nur ein Lob und ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss.
Ich hatte schon öfters davon geträumt, meinen Namen eines Tages in Geschichtsbüchern lesen zu können. Nicht als Harry Potters beste Freundin, sondern als eigenständige Person. Dass mein großes Vorbild dies für möglich hielt, belohnte mich für alle Mühen, die ich bisher hatte.

,,Miss Granger, Sie wissen, wenn Albus so etwas sagt, dann ist das kein Scherz. Ich kann nicht genau nachvollziehen, was er in Ihnen findet, aber Albus Dumbledore hat sich noch nie getäuscht."
Sie machte eine kleine Pause.
,,Das heißt nicht, dass Sie nicht eine wunderbare Hexe sind, aber hat man nicht alle paar Jahre wirkliche Talente? Der junge Tom Riddle war ein solches Talent, schade, dass er dieses so vergeudet hat..."

Bei dem Namen Tom Riddle zuckte ich zusammen. Darauf war ich noch nie gekommen.
Nicht wegen der Erwähnung Tom Riddles, sondern wegen dem Namen Tom.

Spring affair ~ DramioneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt