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- Emma -

»Hier trink das ... es wird dir helfen, dich für den Ort zu öffnen ...«Ich hatte doch tatsächlich eine Gruppe Menschen gefunden, die hier in der Wüste, wie ich, eine Reise in sich selbst antreten wollten. Nun saß ich mit ihnen, fünf an der Zahl in einem Kreis und hielt einen Holzbecher in meinen Händen. Ron, ein schlaksiger grauhaariger Kerl mit Pferdeschwanz und kreisrunden Brillengläsern, hob den Becher unter meiner Nase an und nickte mir auffordernd zu.
»Trink Schwester ... es wird dir gut tun ...«, hauchte das Mädchen neben mir, das mit halbgeschlossenen Lidern im Schneidersitz saß und leicht hin und her schwankte. »Was ist das genau?«, fragte ich mit dem Becher vor meinen Lippen, denn ich kannte den Geruch überhaupt nicht und ich kannte schon eine Menge. »Es ist unser Elixier ... trink«, betete sie fast und lächelte, bevor sie ihre Arme in die Luft hob und ihr Schwanken einen größeren Radius annahm.
Ohne lange zu überlegen, nahm ich einen großen Schluck und reichte den Becher weiter. Ein junger hübscher Kerl, nur mit einem Tuch um seine Lenden, saß mit zwei kleinen Trommeln zwischen seinen Beinen neben mir und schien alle zusätzlich in einen Trance ähnlichen Zustand zu versetzen. Er hatte seine Augen geschlossen und schwitzte in der Nachmittagssonne.
Ich war müde. Die letzten Tage und auch das Festival hatten an meinen Reserven gezehrt, was ich nun, wo ich zur Ruhe kam, sehr schnell merkte. Was auch immer in diesem Becher war, es schmeckte scheußlich. Trotzdem nahm ich noch einen Schluck, als der Becher mich erneut erreichte. Ich war überzeugt von der Sache, ich wollte mich finden, wissen wo ich mich sehe, herausfinden was meine Bestimmung in dieser Welt war und alles mich erdrückende vergessen. Dad vergessen, und so galt mein letzter Gedanke, bevor ich müde nach hinten auf den Rücken sank, meinem Bruder Vini.
Ich musste eingeschlafen sein, denn die Sonne brannte nicht mehr auf mich herab. Die Trommel hörte ich immer noch und rieb mir, ohne meine Augen zu öffnen, über mein Gesicht. Hände fuhren über meinen Körper und schoben sich unter meinem Kleid meine Schenkel hinauf. »Erst wenn wir vereint waren, wirst du die vollkommene Inspiration erfahren...«, beschwörte die Stimme über mir.
Meine Glieder waren schwer und als sich nun zwei weitere Hände meine Griffen und mich festhalten wollten, schrillten meine Alarmglocken. Ich entriss demjenigen meine Hände und strampelte den anderen, der sich als Ron erwies, von mir. »Fasst mich nicht an!«, schrie ich ihnen entgegen und sprang auf. Jetzt erst sah ich, dass die Sonne noch gar nicht untergegangen war, sondern ich mich jetzt in einem der Zelte befand. 
Vini's Worte kamen mir in Erinnerung. Ich sollte mir nichts andrehen lassen, auf mich aufpassen und lachte über ihn. Mein Herz schlug unregelmäßig in meiner Brust und ich stürmte aus dem Zelt, stieß gegen den hübschen Trommler und kniff meine Augen zusammen, weil die Sonne mich blendete. Alles schwankte ... ich drehte mich auf der Stelle und suchte meinen Bulli. Panik!
»Hey ... bleib hier! Du kannst nicht ...« Weiter hörte ich nicht zu ... ich war es leid, mir sagen zu lassen, was ich konnte und was nicht, das hatte ich bei Dad zur Genüge und ich musste hier weg! Schnell! Ich lief hektisch über den staubigen Platz, entdeckte meinen Bulli und sprang hinein, strich mir die schweißnassen  Strähnen aus der Stirn und schluchzte auf. Ich hatte schon vieles erlebt, auch vieles mitgemacht, aber das ging zu weit.
So schnell ich konnte fuhr ich davon. Das Motorengeräusch meines Bullis dröhnte in meinen Ohren, mir war heiß und mir war schlecht. Ich fühlte mich merkwürdig, alles schien so unwirklich und gerade zog alles wie in Zeitlupe an mir vorbei. Die Straße, die Büsche, die Landschaft. Egal, wie schnell ich auch fuhr, ich fühlte mich, als käme ich nicht voran und versank immer mehr in Unruhe, die in Panik umschlug. Ich bekam kaum Luft und strich immer wieder mit der Hand über meinen Hals. Der Fahrtwind rauschte in den Wagen und wirbelte meine Haare umher und wieder einmal wünschte ich mir, Vini wäre bei mir. Er wusste, wie er mit meinen Panikattacken umzugehen hatte.
Mein Empfinden schlug um, jedoch nur darin, dass ich glaubte mit waghalsiger Geschwindigkeit über den Freeway zu rauschen. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und hatte keine Ahnung wie lange ich dieser Straße gefolgt war, bis das Hinweisschild vor mir auftauchte: Palm Springs 29 Meilen. Zachary! Ich hatte weder die Ahnung wo er dort wohnte, noch hatte ich eine Telefonnummer.
Wer hätte gedacht, dass ich ihn noch einmal wiedersehen könnte. Ich hielt es nicht für notwendig, mehr persönliches über ihn zu erfahren. Er war ein One-Night-Stand und jetzt meine einzige Hoffnung, denn ich fühlte mich zunehmend schlechter. Mein Kopf spielte mir einen Streich und zwar so sehr, dass ich schon Menschen am Straßenrand sah, die ich unmöglich sehen konnte.
»Mom ...«, hauchte ich weinend. Meine Tränen wurden vom Fahrtwind, sogleich auf meinen Wangen, getrocknet. Immer wieder stand sie mit ihrer Gitarre am Wegesrand, ihre haselnussbraunen Haare wehten, genauso wie ihr Sommerkleid, im Wind. Sie winkte mir zu und lächelte, wodurch ich immer weiter glaube, den Verstand zu verlieren. »Das ist nicht wirklich ... du bist nicht da. Du bist nicht da ... oh mein Gott. Bitte!«, schluchzte ich und wischte mir Schweiß und Tränen aus dem Gesicht.
Die Landschaft färbte sich blutrot, untermalte meine Empfindungen und schlug mir zusätzlich, wie ein Felsen, schwer aufs Gemüt. Mein Mund war trocken, meine Lippen spröde und so langsam war ich am Ende meiner Kräfte. Als ich völlig aufgelöst und zitternd, auf dem Parkplatz eines Diners hielt, brach alles um mich zusammen und ich klammerte mich am Lenkrad fest, ließ meinen Kopf darauf sinken und weinte.
Ich hob meinen Kopf schwerlich und schaute aus der Seitenscheibe. Blinzelnd rieb ich mir die Augen und fingerte hektisch am Türgriff, um ihn zu öffnen. Es wollte nicht klappen, denn ich hatte die Tür aus Angst verriegelt und verfiel erneut in Panik. Es konnte auch wieder ein Streich meines Kopfes sein, es war aber auch ebenso möglich, dass ich mich nicht täuschte. Ein dumpfer Schrei entwich mir, als ich aus der Fahrertür stolperte und sogleich auf den Knien landete. »Warte ...«, rief ich kraftlos und grub meine Finger in den staubigen Boden des Parkplatzes. Kleine Kiesel bohrten sich in meine Knie, schmerzten. Der erdige Geruch schlich sich in meine Nase und verstärkte meinen Durst. Ich war am Ende, verlor das Bewusstsein.
»Emma?«, hörte ich seine Stimme, während er mich leicht schüttelte und ich atmete erleichtert auf, bevor ich erneut zu schluchzen begann. »Oh mein Gott, Emma ...«, entwich ihm besorgt, bevor er neben mir auf seine Knie sank und mich auf seinen Schoß zog. Er hielt mich in seinem Arm und schob mir meine verheulten Haare aus dem Gesicht, strich mir einzelne Tränen unter den Augen weg und musterte mich.
»Du bist es wirklich ... du bist doch wirklich ... bitte sei wirklich da ...«, wisperte ich schwach und schluckte schwer, berührte leicht sein hübsches Gesicht, wobei mir sogleich eine Träne aus dem Augenwinkel rann, weil er sich so wunderbar anfühlte. »Ich bin da, Emma ... ich bin hier, fühl doch.« Er griff nach der Hand an seiner Wange und drückte sie fester an sich. Griff meine Finger und rieb mit seinem Daumen darüber, um mir zu zeigen, dass er wirklich bei mir war. »Oh Emma, was hast du nur getan?« Er drückte mich an sich und wog mich wie ein Kind, in seinen Armen, bis ich mich etwas beruhigt hatte.
Er wollte aufstehen, doch ich klammerte mich in sein Shirt, verkrampfte und begann hektisch zu atmen. »Lass mich nicht allein, Zach!«, kam panisch und viel zu schnell aus meinem Mund. Als wäre er mein letzter, rettender Anker, zog ich mich hoch, schlang meine Arme um seinen Hals und presste meine Lippen in seine Halsbeuge. »Ich lasse dich nicht allein, doch wir sollten hier weg. Lass uns aufstehen. Wir können nicht hier bleiben ... Hier halte meine Hand.«
Ich tat was er sagte, ließ mich von ihm auf die Beine ziehen und sackte gleich wieder zusammen. Er legte meinen Arm über seine Schulter und umfasste meine Taille, brachte mich zu seinem Wagen und wollte gehen, was ich zu verhindern wusste. Ich hielt ihn am T-Shirt fest und griff nach seinem Handgelenk. »Du kannst mich nicht allein lassen ... du hast es versprochen!«, stammelte ich außer Atem und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, blickte auf in seine blauen Augen, die im Schein der Leuchtreklame des Diners funkelten. Er löste vorsichtig meine Finger aus seinem Shirt.
»Emma ... ich muss deinen Wagen verschließen. Du siehst mich die ganze Zeit. In zwei Minuten bin ich wieder zurück.« Ich nickte und ließ ihn gehen, klammerte mich derweil an den Türgriff und strich mit der anderen Hand immer wieder meinen Schenkel auf und ab, in der Hoffnung, mich zu beruhigen. 
Die Reklame wurde zu hell, meine Augen schmerzten und mir drehte sich alles. Ich hätte mich gern übergeben, riss die Tür auf, doch mehr als ein Würgen brachte ich nicht zustande - ich wusste nicht, wann ich zuletzt gegessen hatte. Ich wusste nicht einmal mehr, welcher Tag war. War abends oder morgens? Zach setzte sich zu mir in den Wagen und startete ihn sofort. Er verlor keine Zeit und fuhr zügig vom Parkplatz des Diners. »Wo fahren wir hin?«, krächzte ich schwach, während ich meinen Kopf an seine Schulter sinken ließ und leise weinte. Mir fehlte Vini und mir fehlte Mom. Ich vermisste sie so sehr.
»Ich bringe dich zu meinem Onkel. Sie haben eine Pension, dort kannst du erst einmal bleiben.« Ich nickte immer wieder weg, schreckte jedoch mit den schlimmsten Bildern im Kopf wieder auf. Die Unruhe hatte mich fest im Griff. Es kam mir unendlich vor, bis wir eine lange Auffahrt hoch fuhren und neben einem länglichen, kleineren Gebäude hielten. »Bitte warte hier. Ich schwöre dir, ich bin in ein paar Minuten wieder da.«
Ich nickte viel zu schnell und versuchte, nicht wieder zusammenzubrechen, auch wenn mir danach zumute war. Mein Herz raste und ich strich nun mit beiden Händen immer wieder meinen Hals auf und ab, bis Zach mit einem Mann und einer Frau zu seinem Wagen kam. Vorsichtig öffnete er die Tür und schob seine Hände unter meine Beine und meinen Rücken, hob mich aus dem Wagen und folgte den beiden in das Gebäude.
»Was hat sie genommen, Zach?«, fragte der Mann, bevor er hinter der Frau in ein Zimmer trat. »Ich habe keine Ahnung ... Emma ... bist du wach?« Ich war so müde und sprechen fiel mir immer schwerer. »Hmm. Ich habe etwas getrunken. Es schmeckte nicht ...« Er setzte mich auf einem Bett ab, wurde dann aber sogleich von der Frau beiseite geschoben. »Ich mache das schon Zach ...«, versuchte sie ihn von mir fernzuhalten, doch ich brauchte ihn. So absurd es auch klang, er gab mir Sicherheit.
»Tante Les ... ich kenne sie doch. Sie ...« Er verstummte. »Okay, dann lass mich nur ihre Schuhe ausziehen.« »Ich rufe den Arzt ... sie gefällt mir nicht«, murmelte der Mann und verließ zügig den Raum. Das alles war zu viel für mich. Zu viele Menschen, zu viel um mich herum, zu laut.
Die Frau verließ ebenfalls den Raum, sie wollte draußen auf den Arzt warten. Zach setzte sich zu mir, lehnte sich mit dem Rücken ans Bettende und zog mich in seine Arme. Einen Moment genoss ich die Stille, auch wenn die Unruhe immer noch in meinem Körper herrschte. Sein Herzschlag hallte in meinem Ohr und es schien, als würde meiner sich ihm angleichen. Ruhiger, regelmäßiger. Ich atmete auf.
»Was hast du genommen, Emma. Wir müssen das wissen«, durchbrach seine Stimme die Stille und er reichte mir ein Glas Wasser vom Nachtschrank. Ich trank das komplette Glas auf einmal. Noch nie hatte ich so einen Durst - warum habe ich nicht schon viel früher getrunken? »Ich ... ich weiß es nicht. Es war wie ein Tee ... bitter, muffig, holzig ... sie nannten es Elixier ... Ich weiß es nicht«, flüsterte ich und sank wieder auf seinen Oberkörper. Er nahm mir das Glas ab und strich behutsam meinen Oberarm auf und ab und sorgte damit dafür, dass ich kurzzeitig einschlief.
»Zach ... der Arzt ist da ... komm kurz vor die Tür und lass ihn, sie untersuchen«, sprach die Frau. Sie hatte eine liebliche Stimme und erinnerte mich wieder an Mom. Seufzend ließ ich Zach aufstehen und schaute auf den alten grauhaarigen Mann, mit dem schwarzen Arztkoffer. Wirklich helfen konnte er mir nicht. Er vermutete, dass in dem Sud, den ich getrunken hatte, giftige Pflanzen aufgebrüht wurden. Aufgrund meiner Verfassung, tippte er auf Stechapfel. Dies sei nicht unüblich, denn die Pflanzen waren legal, und der Konsum keine Seltenheit. Die Wirkung setzte erst später ein und könnte noch einige Stunden anhalten. Ich sollte keinesfalls allein bleiben - was ich sowieso nicht ertragen hätte.
Zach betrat allein, mit meiner Tasche über der Schulter, das Zimmer und setzte sich wie vorhin schon, zu mir. Sofort suchte ich seinen Herzschlag und drückte mein Ohr darauf, bis die Vibration seiner Stimme mich zusammenzucken ließ. »Ich habe mit Vincent telefoniert. Er ist auf dem Weg hierher.« Ich schrak hoch und schaute in sein Gesicht, um mich zu vergewissern, ob es stimmte, was er sagte. Seine Miene war ernst. »Warum hast du das getan? Er ... er hat schon genug um die Ohren ... Er ... « »Emma, beruhig dich. Er macht sich Sorgen. Außerdem ist er dein Bruder, er hat ein Recht darauf zu erfahren, wenn es dir so schlecht geht ... ich kenne dich doch gar nicht.«
Dem konnte ich nichts erwidern. Innerlich war ich erleichtert, dass Vini auf dem Weg war. Nur gut, ging es mir bei dem Gedanken, trotzdem nicht.

Fool Again | Vincent & RoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt