K17 | Schwesterherz

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- Vincent -

Als ich die Tür zu Emmas Zimmer öffnete, lag sie im Bett und schlief. Ich ging leise auf sie zu und setze mich zu meiner Schwester auf den Bettrand. Langsam ließ ich meine kühle Hand über ihre glühende Stirn wandern und strich ihr, das verschwitzte Haar, hinter ihr Ohr.
»Hey Süße, ich bin's ... Vini.« Ich zog meine Jacke und Schuhe aus, um mich leise zu ihr zu legen. Langsam drehte sie sich zu mir um. »Vini? Vincent!« Sie krallte sich an mich und drückte ihr Gesicht an meine Brust. »Hey, alles gut.« »Sag mir, dass du wirklich da bist«, flüsterte sie und rieb ihr Gesicht erneut an meiner Brust hin und her.
»Was macht du für Sachen, Emma? Sagte ich nicht, du sollst auf dich aufpassen? Kann ich dich denn nicht mehr allein lassen?« Ich legte meinen Kopf auf ihre Stirn und sie küsste sanft meine Wange. »Nein, kannst du nicht. Verlass mich nie wieder. Ich habe solche Angst Vincent.« Sie klammerte sich an mich, wie ein Kind.
»Was ist los mit dir Emma? Wir sorgen uns um dich.« Sie sah mich an. »Wen meinst du? Dich und Vater? Ist das dein Ernst? Er hat mich aus dem Haus getrieben.«
»Emma, dass stimmt doch so gar nicht. Er wollte nur nicht, dass du mit den falschen Leuten Umgang hast. Und wie du siehst, hatte er recht. Schau dich an, voll mit Drogen.« Sie drehte ihren Kopf von mir fort.
»Was weißt du schon. Daddys Liebling.« Ich legte meine Hand auf ihre Wange. »Emma, du kannst nicht immer davon laufen. Du musst irgendwann heimkommen. Ein normales Leben leben. Ich habe Angst um dich, Schwesterchen.« Ich küsste ihre Wange und ihr lief eine Träne herunter.
»Komm mit heim, Emma. Bitte. Lass dir von uns helfen«, bat ich sie und griff nach ihrer Hand. »Vincent, ich kann nicht in dieses Haus voller Erinnerungen.« Sie drückte sich wieder an mich. »Ich habe sie gesehen, Vini.« Erneut streichelte ich über ihr Haar. »Wen hast du gesehen?« Sie sah zu mir auf. »Mum. Ich habe sie gesehen. Heute, sie stand am Straßenrand mit ihrer Gitarre und sie sah mich an.« Sie weinte und ich drückte sie eng an meine Brust. »Emma, meine kleine Emma. Was hast du bloß genommen. Mum ist tot«, erklärte ich ihr ruhig und wischte mir selbst eine Träne aus den Augenwinkeln.
»Ich wünschte, ... ich wäre tot und begraben.« »Emma! Das darfst du nicht sagen.« Sie legte sich in meinen Arm und schluchzte. »Vincent?«   »Ja?« Emma sah mich an. »Du bist ihr so ähnlich. Mit allem. Du hast ihre Begabung. Mit deiner Gitarre und deiner Stimme. Du solltest das Angebot von Bobby annehmen. Geh mit ihm auf Tournee. Sei schlauer als Mum. Sie hat ihr Leben mit Vater verschwendet. Und was hatte sie davon? Sie ist elendig zu Grunde gegangen.«
»Emma. Sie hatte Krebs. Dafür konnte Dad nichts«, sagte ich und strich über ihren Arm. »Also? Gehst du mit Bobby auf Tour? Bitte Vincent. Du gehst doch auch noch zu Grunde in der Boxbude. Du hasst doch diesen Schuppen. Das weiß ich. Du vergeudest deine Begabung, die Mum dir vererbt hat. Sie würde es wollen, dass du gehst.«
Langsam richtete ich mich auf und setzte mich an den Bertrand. »Lass mich darüber schlafen, ja? Und jetzt ist es genug. Leg dich hin und ruh dich aus. Ich bin mal vor der Tür und rauche eine.«
Müde trat ich hinaus ins Freie und zündete mir eine Zigarette an, die ich mir in den Mundwinkel steckte.
»Hast du für mich auch eine?« Eine Männerstimme erklang hinter mir. Ich drehte mich um. In einem Schaukelstuhl, auf der Nachbar Veranda, saß ein Mann und sah in die Nacht hinaus, als würde er auf jemanden warten.
Lässig ging ich hinüber und reichte dem Fremden eine Zigarette.
»Danke. Eigentlich rauche ich nicht mehr. Ich habe es meiner Frau versprochen.« Er zündete sie sich an und zog kräftig an ihr, » ... aber heute brauche ich mal eine. Setz dich, Kleiner. Erzähl mal. Bist du ihr Mann?«
Ich setzte mich in den anderen Schaukelstuhl und lächelte. »Nein, ich bin ihr Bruder. Ich kam heute aus L.A., um sie heim zu holen. Aber sie sträubt sich. Sie will nicht heim zu Vater.« Der Mann grinste. »So? Warum? Haben sie so ein schlechtes Verhältnis?« Ich sah den Mann grimmig an.
»Ich wüsste nicht, was sie das angeht, Mister.« »Mein Name ist Kennedy. Du kannst mich Kenny nennen. Wie heißt du?« Nun sah ich ihn misstrauisch an. »Vincent. Man nennt mich Vini«, presste ich angespannt heraus. »Also Vincent. Hast du was auf dem Herzen? Du siehst nicht gerade zufrieden aus.«
War das ein Witz? Ich sollte zufrieden sein? »Meine Schwester wäre heute beinahe hops gegangen, wie soll ich denn da bitte aussehen? Vor Freude hoch jauchzend? Soll ich ein Lied trällern?!« Nun wurde ich laut und stand auf. »Gute Nacht!«, stieß ich wütend aus und ging davon. »Alter Kauz! Hat null Ahnung!«, schimpfte ich und ging in den Garten.
Dort setzte ich mich auf eine Schaukel die unter einer alten Weide angebracht war. Langsam wog ich mich hin und her. »Verdammte Scheiße aber auch, dieses Weib macht mich verrückt«, schimpfte ich immer noch. Plötzlich hörte ich Schritte die durchs Gras huschten. Jemand war über die Mauer geklettert und schlich nun umher.
»Hey! Wer ist da?« Ich stand auf und ging auf die Umrisse einer Person zu, die hinter dem Weidenvorhang stehen geblieben war. Ich trat darunter hervor und stand plötzlich vor ihr! »Rory?«
»Vincent? Oh mein Gott Vincent?!« Sie umarmte mich stürmisch und legte ihren Kopf auf meine bebende Brust. »Was tust du denn hier? Woher wusstest du wo ich wohne?« Sie plapperte wild drauf los, da sie es nicht fassen konnte, dass ich wirklich vor ihr stand. »Ich bin hier um Emma heim zu holen. Sie wohnt hier bei Leuten, in der Pension.« Nun kam ich erst mal drauf. »Wohnst du etwa auch hier?« »Ja, meiner Mum gehört die kleine Pension und meinem Dad die Werkstatt, da unten.« Nun wurde es mir klar. »Dein Vater ist nicht zufällig ... Kenny?«
Rory lachte leise. »Doch, ja, das ist er. Warum sagst du das so komisch?« Ich verzog das Gesicht. »Nun ja, ich hatte mit ihm eben eine kleine Diskussion.« »Er ist noch wach?!« Schnell sprang sie unter die dichte Weide und versteckte sich. »Wenn er mich um diese Zeit noch draußen erwischt muss ich nochmal auf dem Friedhof Unkraut zupfen, und zwar lebenslang.« Ich musste lachen. »Er hat dich was! Unkraut zupfen lassen?« Ich ahnte ja nicht, dass ich der Grund dafür war, dass sie so bestraft wurde.

Fool Again | Vincent & RoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt