K33 | Wiedersehen

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- Rory -

Als Zach mit Emma und mir auf den Hof fuhr, stand Dad im Tor seiner Werkstatt und putzte sich gerade die Hände an einem Putzlumpen ab. Seine Miene war ernst und er betrachtete uns genauestens, als er näher kam und wir ausstiegen. "Hallo Mr. Thompson. Na bald Feierabend?", flötete Emma fröhlich und schulterte ihren Rucksack. "Ein wenig muss ich noch", antwortete Dad ihr mit einem gehobenen Mundwinkel nickend und kam mir näher.

"Onkel, ich bringe mit Emma die Taschen in ihr Zimmer", sagte Zach bereits im Gehen und ließ mich mit Dad allein. Mir war klar, was sein nachdenkliches Gesicht zu bedeuten hatte und so nahm ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum und lehnte mich dagegen. Dad hob mein Kinn und musterte mich. "Geht es dir gut? Du siehst müde aus... und bedrückt." Ich schluckte schwer, senkte meinen Blick und zuckte mit der Schulter. "Es ist dieser Vincent, oder?" Mein Kopf schnellte wieder nach oben. "Also richtig. Ich habe gelesen, dass er mit Bob Dylan auftritt und da war mir klar, warum ihr nach San Bernadino zu seinem Konzert wolltet." - "Dad... ja. Es stimmt." Ich war viel zu müde um nach Ausreden zu suchen und Dad war nicht dumm - ganz im Gegenteil.

"Ich bin ehrlich, Rory. Ich denke, dass er dich nicht glücklich macht. Sie dir an, wo er jetzt ist und wie es dir jetzt geht." Er legte seine Hand auf meine Schulter und drückte sanft zu, wobei er sich vorbeugte um mir in die Augen zu sehen. "Ich möchte doch nur nicht, dass du unglücklich bist. Er ist vielleicht ein guter Junge, aber ob er dich auch glücklich macht, wenn du ihm dein Herz schenkst, steht auf einer anderen Medaille." Dad hatte wieder einmal für alles die passenden Worte und brachte mich damit ins Grübeln. Doch wie ich es auch betrachtete - ich hatte Vince schon längst mein Herz geschenkt. Da gab es kein zurück mehr. "Lass mich das bitte selbst herausfinden, okay?"

Bedrückt seufzte er auf und nahm seine Hand von meiner Schulter. "Du bist meine Tochter... ich habe wohl keine Wahl", antwortete er im selben bedrückten Ton und legte nun seinen Arm über meine Schulter. "Komm mit rein, deine Mutter und ich habe dir noch etwas zu erzählen... und da bin ich gespannt was du dazu sagst." Zusammen liefen wir zum Haupthaus. "Wirklich gespannt...", setzte er nach und schaute mich von der Seite an. Ich hob fragend meine Braue, doch bekam keine Antwort. Dafür öffnete er die Haustür und rief nach Mom.

"Ist irgendwas passiert, oder warum guckt ihr mich so an?", fragte ich meine Eltern, die beide an die Küchenanrichte gelehnt standen. Dad hielt Mom im Arm und schmunzelte sie an. "Willst du es ihr sagen?", flüsterte er ihr zu, während ich in mein Sandwich biss. Ich hatte Hunger für drei. Abwechselnd schaute ich beide an, bis Mom tief durchatmete. "Ich bin schwanger!" Ich verschluckte mich an dem Bissen in meinem Mund hustete auf, dass mir Tränen in die Augen schossen. "Warum?" Dad musterte mich mit gehobener Braue und ich konnte die Belustigung an seinem Gesicht genau ablesen.

"Also.. warum und wie ist mir geläufig... schon klar", antwortete ich lachend. "Was ich meine ist... wolltet ihr das?" Mom lächelte, wie sie es immer tat, wenn sie verlegen war. "Nein, es war nicht geplant, aber wir freuen uns trotzdem." Dad zog sie in seinem Arm näher an sich und küsste liebevoll ihr Schläfe. Traurig ließ ich mein Sandwich sinken und dachte erneut über die Worte von Dad nach '... aber macht er dich auch glücklich'. Das würde ich herausfinden müssen.

Ich stand auf und ging zu Mom, drückte sie herzlich und küsste ihre Wange, dann widerholte ich dies bei Dad und lächelte Beiden entgegen. "Ich freue mich für euch und ich freue mich über ein Geschwisterchen... dann ist es ja ganz gut, dass Emma hier ist. Wir werden ihre Hilfe in nächster Zeit gut gebrauchen können."

Nach diesem Gespräch wollte ich allein sein. Müde und niedergeschlagen stapfte ich die Treppe nach oben und ließ meinen Rucksack auf mein Bett fallen. Ich begann meinen Rucksack auszupacken. Besser gesagt, ich leerte ihn einfach auf meinem Bett aus, wobei etwas auf den Boden zu meinen Füßen segelte. Die Serviette aus dem Diner, wo Vincent mit mir essen war, als wir allein unterwegs waren. Ich hob sie auf und strich vorsichtig über die Buchstaben, die er darauf gekritzelt hatte. Zaghaft hob sich mein Mundwinkel und ich seufzte traurig auf. Ich steckte sie an meine Pinnwand und ließ nochmals meine Fingerspitzen darüber gleiten. "Kleine Kämpferin" stand in blauen Buchstaben darauf und darunter hatte er ein Herz gemalt. Mein Herz - er hatte es bereits fest in seiner Hand.

*

28th Nov 1974, Thanksgiving

"Rory, übergieße bitte noch einmal den Truthahn... ich gehe eben schnell im Gästehaus nach dem Rechten sehen", rief Mom zu mir herüber und war durch die Hintertür verschwunden. Emma grinste mich breit an und schielte zur Tür, wobei ihr Finger in der Schüssel mit der Nachspeise verschwand. "Lass sie das nicht sehen... ihre Launen sind jetzt schon grenzwertig", feixte ich und zog die Backröhre auf, um den Vogel zu übergießen. "Pass du lieber auf, dass du dich nicht verbrennst, so hibbelig wie du bist." Ich warf ihr vernichtende Blicke zu und schon war es geschehen. Mein Handrücken kam an die Oberseite des Backofens und ich ließ die Schöpfkelle fallen. Sie purzelte auf den Boden und nun hatte ich nicht nur eine schmerzende Brandblase, sondern auch noch den Boden aufzuwischen.

Schon den ganzen Morgen war ich nicht wirklich zu gebrauchen, ständig in Gedanken versunken und dann wieder aufgekratzt und tollpatschiger als sonst. Dass ich mich jetzt auch noch verbrannte, passte also genau zu meiner Verfassung. Ich hatte ihn so lange nicht gesehen, über sechs Wochen zehrte ich von unserem Wochenende in San Bernadino und den Anrufen, die immer schwierige zu timen waren, da sein Kalender sich mehr und mehr füllte.

Nicht nur weil Vincent kam war ich nervös. Dad würde das erste Mal auf ihn treffen mit dem Wissen, dass wir zusammen sind. Wenn er nicht dumm war, konnte er eins und eins zusammenzählen und wusste spätestens seit meiner Rückkehr aus San Bernadino, dass Vincent der ominöse Fremde war, mit dem ich in Los Angeles verschwand.

"Emma, ich bin eben oben mich umziehen", rief ich hektisch und sprintete die Treppe nach oben. Ich hatte Mom versprochen heute etwas festliches zu tragen. Ausnahmsweise keine Jeans und auch kein freches Shirt mit irgendwelchen kessen Statements. Ich entschied mich für ein hellgrünes, tailliertes Trägerkleid. Es passte perfekt zu meiner gebräunten Haut. Ich kämmte mir gerade meine Haare, als ich auf der langen Auffahrt ein Taxi sehen konnte. Vincent!

Die Bürste flog auf mein Bett, ich schlüpfte in meine Ballerinas und stürzte die Treppe nach unten. Schwungvoll riss ich die Haustür auf, als er gerade aus dem Taxi stieg. Meine Brust hob und senkte sich aufgeregt, weil ich so schnell gelaufen war und es bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen, als er mich erblickte und ohne seine Augen von mir zu nehmen die Autotür hinter sich zuwarf. Endlich war er da.

Fool Again | Vincent & RoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt