K41 | Geschichten Erzähler

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- Rory -

Fast zwei Wochen waren seit seiner Abreise vergangen und die spärlichen Telefonate, die wir führten machten mich mehr und mehr traurig. Oft war er nur kurz angebunden, wurde von Bob und seinen Leuten von einem Termin zum Anderen gezerrt und so wie er sich anhörte, war er jetzt bereits völlig übermüdet, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. Dass ich mit ihm ein normales Gespräch führen konnte, was länger als zwei Minuten andauerte, war nun ebenfalls fast eine Woche her. Dabei hatte ich ihm so viel zu erzählen. Ich hatte mich beim California College in Palm Desert beworben und ich ging wieder regelmäßig zum Klavierunterricht, auch wenn ich eigentlich keine Lust hatte. Ihm zuliebe, weil er von Mom mitbekommen hatte, dass ich es liebe, riss ich mich zusammen und ging zweimal in der Woche zum Unterricht.

"Ja und er war hier und hat mit MIR gesprochen... Vincent heißt er. Und er sieht in echt noch viel besser aus, als auf dem Foto." Ich konnte nicht glauben, was ich da aus Lily's Mund hörte und reckte meinen Kopf in die Höhe. Sie saß mit Paula und Joshua am Tisch und blätterte in einer Zeitschrift. Neugierig, weil es sich nur um einen handeln konnte, stand ich auf und ging zu ihr herüber. Ohne zu fragen nahm ich die Zeitschrift unter Protest vom Tisch und betrachtete die Fotos, die darin abgedruckt waren.

Vincent mit Bob, bzw. Bob mit Vincent auf einer Party. Sie tranken Alkohol, rauchten Joints und amüsierten sich prächtig. Bob hatte in jedem Arm ein Mädchen, dass sich ihm an den Hals warf und Vincent... Vincent lief im Hintergrund, ebenfalls einen Joint im Mundwinkel und wurde gerade von einer langbeinigen Schönheit auf die Wange geküsst. Unter dem Foto stand, dass die Party gerade einmal vier Tage her war. Mir kochte die Galle hoch, doch das sollte von den Dreien vor mir keiner mitbekommen. So drückte ich ihr die Zeitschrift wieder vor die Brust. "Träum weiter Lily... du weißt dass er zu mir gehört."

Mit einem gehörigen Kloß im Hals ließ ich sie dort stehen, genauso wie mein Essen und machte, dass ich in meinen nächsten Unterrichtsraum kam. Mehrmals musste ich tief durchatmen und setzte mich auf meinen Platz fast in der hintersten Reihe und schaute aus dem Fenster. Vor vier Tagen hat er mir gesagt, er muss mit Bob ins Studio. Dabei waren sie auf einer Party. Zitternd presste ich Daumen und Zeigefinger auf meine Lider und ließ den Kopf hängen. Der Schmerz in meiner Brust und diese Ungewissheit machten mich wahnsinnig. Nicht zu wissen, ob er mit "Fräulein Storchenbein" auf ein Zimmer verschwunden war oder sich gleich die ganze Nacht mit ihr in den Laken gewälzt hatte, schnürte mir die Luft zu.

Nur mit Mühe brachte ich die letzten beiden Stunden hinter mich und machte mich auf den Weg aus dem Schulgebäude. Kurz vor dem Haupteingang zupfte jemand an meiner Tasche. Ich blieb stehen und drehte mich um, sah wie ein blonder, mir unbekannter Kerl meine Federtasche in seinen Händen hielt. "Hey... sorry, aber die ist dir fast heraus gefallen", sagte er lächelnd und hielt sie mir entgegen. Ich nahm meine Federtasche und musterte ihn. Noch nie habe ich ihn hier gesehen. "Wer bist du?", fragte ich fordernd und er hob mit zuckenden Mundwinkeln sein Kinn. "Louis Daugherty. Ich bin neu hier... und mit wem hab ich hier das Vergnügen?" Er beugte sich zu mir vor und schob seine Hände in die Jeanstaschen. Dabei fiel mir die Schachtel Zigaretten auf, die auf seiner Schulter unter seinem T-Shirt spannte.

"Wenn du mir Eine ausgibst, dann erzähle ich es dir", antwortete ich frech, was ihn dazu bewog, die Schachtel hervorzuholen und damit lockend vor meiner Nase herumzuschwenken, mich damit aus dem Schulgebäude lockte, wie einen Hund mit einem Leckerli. Auf dem Rasen vor der Highschool schnappte ich mir die Schachtel und schob mir eine Zigarette zwischen die Lippen. Sofort erschien sein Zippo vor meiner Nase, doch ich schlug es zu und schnappte es mir aus seiner Hand. "Du weißt... nur Nutten..." Kopfschüttelnd lachte er auf und schaute mir dabei zu, wie ich mir die Zigarette anzündete. Nach einem tiefen Zug gab ich ihm seine Schachtel und das Feuer zurück und schmunzelte. "Rory... Rory Thompson." Er hob neugierig eine Braue. "Von dir hab ich schon gehört." Nun hob ich beide Brauen. "Ich hoffe nur Gutes." Er betrachtete mich, rieb sein Kinn und lächelte. "Du sollst ein ganz schönes Früchtchen sein... ein Kayle saß neben mir in meinem Geschichtskurs und ich muss sagen, er hat nicht untertrieben - und ich kenne dich gerade mal drei Minuten."

Was Kayle für Geschichten erzählt hatte konnte ich mir denken. Sie hatten sicherlich mit Benjamin zu tun... Ich konnte diese alte Leier nicht mehr hören und winkte schnaubend ab. "Ja Kayle ist beim Geschichten erzählen immer sehr einfallsreich und euphorisch.. tut mir leid, ich habe keine Zeit mehr... vielleicht sieht man sich ja mal." Ich hatte keine Lust mir eine dumme alte Geschichte von Kayle anzuören und lief schnell in Richtung Busstation. Hoffentlich kam ich nicht zu spät. Mom brauchte heute auch meine Hilfe im Garten.

Abends plagte mich die Sehnsucht. Wie fast jeden Abend wenn es still im Haus wird und ich nur Mom in der Küche leise Summen hörte, setzte ich mich ans Fenster und schaute auf den See. Ich konnte einfach nicht in meinem Zimmer hocken. Ich vermisste Vincent so sehr, denn natürlich hatte er mich heute um Sechs wieder versetzt. Das mitleidige Gesicht von Emma jeden Tag kotzte mich auch schon langsam an, dabei konnte sie gar nichts dafür. Sie war selbst immer noch mit Zach verstritten und sah alles Andere als glücklich aus.

Leise schlich ich die Treppe nach unten und schaute mich auf dem Hof um. Keiner war zu sehen, sodass ich wie ein Geist im Dunkeln über den Schotter zu Emma's Bulli laufen konnte. Leise zog ich die Seitentür auf und kletterte in auf die Matratzen. Nachdem Ich die Tür wieder zugegzogen hatte, knipste ich die Taschenlampe von Emma ein, die sie immer unter dem Kopfkissen versteckte. Sie war halt auch noch irgendwo ein kleines Mädchen. Was ich noch unter dem Kopfkissen fand, war eine kleine Fotomappe, nicht größer als meine Handfläche, in deren Taschen Polaroids steckten. Mit der Taschenlampe leuchtete ich mir und blätterte durch das kleine Büchlein. Es waren Bilder von Emma mit ihren Freunden aus L.A... und ganz viele Bilder von ihr und Vince, die mich schwer schlucken ließen.

Ich wollte stark sein, nicht jeden Tag weinen und schon gar nicht, wenn ich ihn einmal am Telefon hatte. Ich wollte ihm kein schlechtes Gewissen machen. Noch viel weniger wollte ich als Heulsuse da stehen. Also verkniff ich es mir.

"Schön dass du da bist, Zach", hörte ich draußen vor dem Bulli die Stimme von Emma, gefolgt von Zach. "Ich denke wir sollten reden, meinst du nicht?" Den Geräuschen nach  lehnten sie sich beide gegen die Schiebetür. Schnell knipste ich die Taschenlampe aus und presste das Büchlein an meine Brust, bevor ich mich entschied, es doch in meine Gesäßtasche zu stopfen.

"Zach ich habe dich vermisst. Ich möchte mich noch einmal bei dir entschuldigen... auch wenn du es vielleicht nicht mehr hören möchtest... aber mir geht es schlecht, so wie es zwischen uns ist." Zach's Kopf fiel gegen die Tür und ich möchte wetten er schnaubte gerade auf. "Ich vermisse dich doch auch... aber ich kann es nicht so schnell und so einfach vergessen, verstehst du? Ich bin da vielleicht anders als die anderen Typen, aber für mich bedeutet es noch etwas, wenn ich mit jemanden so zusammen bin wie wir es waren."

Mit der Hand vor dem Mund, damit sie mein Schluchzen nicht hören konnten, saß ich im Wagen, getrennt von ihnen durch die dünne Blechwand und weinte, weil ich dieses Bild von Vincent einfach nicht aus dem Kopf bekommen wollte. Wenn die Schwester schon so war, warum sollte Vincent sich nicht auch einen Fehltritt erlauben? Die Versuchung war groß, wahrscheinlich war es bereits so weit, dass sie ihn auf der Straße erkannten. Ich sollte nicht darüber nachdenken, was er vielleicht tat, doch mein Kopf wollte nicht auf mich hören und sank mit tränenüberströmten Wangen in meine Hände.

Fool Again | Vincent & RoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt