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Dunkelheit. Absolute Finsternis. Ein Albtraum für die Meisten, doch er fühlte sich sicher. Sicher in der Dunkelheit, wo keiner ihn sehen konnte. Niemand, vor allem nicht seine Opfer. Er konnte sie riechen, konnte sie spüren, konnte bereits ihr frisches warmes Blut schmecken. Der Hunger überkam ihn aufs Neue, diese unstillbare Gier. "Du kannst sie riechen, nicht wahr?" Er nickte, schloss die Augen, atmete tief ein. Ja er konnte sie riechen, als wäre sie genau hier, vor ihm. Als könne er seine Hand ausstrecken und sie berühren. Als müsse er nur einen Schritt nach vorne gehen, und er könne seine Zähne in ihre Pulsader schlagen. Der Blutdurst brannte in ihm, ließ ihn an nichts anderes denken als an die eine Sache, die ihn am Leben hielt. Blut. "Hol sie dir. Sie gehört dir. Dir alleine." Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er trat aus den Schatten. Der Mond strahlte von oben herab, und für einen kurzen Moment, erhellte ein Mondstrahl sein Gesicht. Steinern, kalt, rote Augen die gierig nach vorne gerichtet waren, spitze Weise Zähne, die aufblitzen. Dann schoben sich die Wolken vor den Mond, und die Umgebung versank wieder in Dunkelheit. Doch es machte ihm nichts aus, er brauchte kein Licht, um zu sehen, er hatte seine anderen Sinne. Seinen Gehörsinn, der ihre Schritte wahr nahm, die immer schneller und schneller wurden, ebenso wie ihr Atem und ihr Herzklopfen. Das leise wimmern, das unterdrückte Schluchzen. Er beschleunigte seine Schritte, passte sie an, an ihre. Er hörte ihr Herzklopfen, die Schritte die sich überschlugen, und dann waren da plötzlich keine Schritte mehr. Sie war stehen geblieben, nein, gestolpert. Er Schritt auf sie zu. Ihr Atem ging schneller. Sie weinte, flehte, doch er hörte ihre Worte nicht, wollte sie nicht hören. Er wollte nur eines, ihr Blut. Mehr nicht. Nur ihr Blut.

"Du solltest sie nur aussaugen, nicht gleich zerfetzen." Killian zog sich noch weiter in den Schatten zurück als ein zweiter Vampir zu dem Ersten hinzu trat, die ausgesaugte Leiche des Mädchens lag neben ihm. Sein Magen zog sich zusammen. Er war zu spät gekommen. Schon wieder. Es gab noch eine Tote. Doch die Übelkeit die in Killian hoch stieg, wurde sofort verdrängt von einer eiskalten Wut. Eine Wut auf dieses Monster. Lautlos zog er den dicken Holzpfahl unter seinen Mantel hervor. Er war bereit, den beiden Vampiren ihre gerechte Strafe zuzuführen. Doch aus einem unerfindlichen Grund zögerte er, sein Jägerinstinkt hielt ihn zurück. Zuerst wusste er nicht, woran es lag, doch dann drehte sich der Vampir, der gerade eben noch über die Leiche des Mädchens gebeugt gewesen war, in seine Richtung, und in dessen Gesichtsausdruck sah Killian etwas, das er niemals auf dem Gesicht eines Vampires erwartet hätte. Etwas das nicht zu dem passte, was er gelernt hatte. Schuld. Schuld und Reue. "Du hättest mich stoppen sollen, Aiden. Du hättest mich aufhalten sollen.", murmelte er, seine Stimme zitterte. Der andere Vampire winkte bloß ab. "Ach was, ich geh doch nicht zwischen einen Ripper im Blutrausch und seinem Opfer. Ich bin ja nicht lebensmüde." Der Vampir schüttelte verzweifelt den Kopf, sein Blick wanderte immer wieder zu dem zerfetzten Leichnam zurück. Dieser Aiden, der dessen Verzweiflung wohl endlich bemerkt hatte, kam auf ihn zu. "Damien, was soll dieser Gesichtsausdruck? Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, die Cops hier sind allesamt unwissende Trottel. Und sollten sie wirklich eine Spur finden die zu dir führt, manipulieren wir sie einfach, oder wir töten sie gleich. Ein Bulle mehr oder weniger macht das Kraut jetzt auch nicht blutig."" Fett. ", murmelte Damien abwesend. Aiden sah ihn verwirrt an. "Das Kraut nicht fett. So heißt es eigentlich. " Aiden verdrehte nur die Augen. "Wie auch immer." Er legte den Arm um Damien und sah ihn mit einem bösen Funkeln in den Augen an. "Was hältst du von einer kleiner Clubtour? Ich hab Hunger, du hast mir ja nichts über gelassen.", meinte er und lachte. Ohne auf eine Antwort zu warten ging er los, doch Damien blieb wo er war. Killian beobachtete überrascht wie er sich zu dem Mädchen runter beugte, und ihre blutverschmierte Hand in seine nahm. "Es tut mir leid. ", flüsterte er reuevoll. Mit einem genervten Seufzer drehte sich Aiden um und kam zurück. "Diese Entschuldigung macht sie auch nicht wieder lebendig.", knurrte er und hockte sich neben Damien um ihm in die Augen zu schauen. "Du bist ein Vampir, verdammt noch mal. Ein Ripper. Und das da ist dein Futter, nichts weiter. Menschen entschuldigen sich doch auch nicht bei einem Schwein wenn sie es schlachten und essen. Das ist eben der Lauf der Natur, die Nahrungskette des Lebens. Also reiß dich zusammen und benimm dich wie ein Vampir, und nicht wie ein geschlagener Köter." Aiden erhob sich wieder und sah Damien erwartungsvoll an. Einen kurzen Moment dachte Killian, er würde nicht aufstehen, würde nichts auf die Worte seines Begleiters geben, doch er wurde enttäuscht. Damien erhob sich langsam und drehte sich um, der reuevolle Ausdruck ersetzt durch eine emotionslose Kälte. "Lass uns gehen.", meinte er nur eisig und marschierte voraus. "So ists gut.", flüsterte Aiden mit einem triumphierenden Lächeln und folgte ihm. Killians Griff schloss sich fester um den Pfahl. Er könne die beiden jetzt aufhalten, sie wüssten gar nicht wie ihnen geschehen würde, so schnell könne er sie beide pfählen. Er hätte seine Mission erfüllt und könne voller Stolz zu seiner Familie zurück kehren. Die Köpfe der Vampire würde er seinen Onkeln als Beweis für seine Tat überreichen, als Trophäe. Doch ihm wollte einfach nicht der Blick des einen Vampires aus dem Kopf gehen. Ihm wurde beigebracht, dass Vampire seelenlose, blutsaugende Monster seien, ohne Reue, ohne Gewissen, die in Menschen nur eines sehen, eine Nahrungsquelle. Sie halten sich für etwas Besseres, meinen sie würden über den Menschen stehen. Auf diesen Aiden trifft die Beschreibung auch zu, doch dieser Damien war anders. Aber wie konnte das sein? Sein Onkel hat ihm gesagt, dass alle Schattenwesen böse sind, dass sie Alle den Tod verdienen. Doch tief in sich, hatte Killian das Gefühl, dass dieser Vampir den Tod nicht verdient hatte. Dass er bloß auf einen falschen Pfad geführt wurde, dass es für ihn Hoffnung gibt. Und auch wenn sein Jäger Alter Ego sich dagegen streubte und windete, Killian hatte so ein Gefühl, das er es sein musste, der diesen Vampir zurück ins Licht führte.

Schattenwelt - Das nächste Kapitel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt