Prolog

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Mit zu Fäusten geballten Händen sitzt sie kniend im Schnee, ihre glänzenden, glatten, schneeweißen Haare benetzt von langsam fallenden Schneeflocken, die sich durch ihre Fassungslosigkeit, durch ihre Angst gebildet haben. Nur wegen ihrer Macht war der Himmel düster und bedeckt von dunklen Gewitterwolken.

Für einen Moment erwarte ich, Tränen im ihr zu Füßen liegenden Schnee zu sehen. Aber sie würde nicht weinen. Nicht vor ihren Feinden, zu denen ich nun offiziell dazugehöre. Vor uns würde sie keine Schwäche zeigen. Braves Mädchen. Sie hat schnell gelernt.

Während ihr langer Schrei, bei dem ich befürchtet habe, sie würde auf ewig keine Stimme mehr besitzen, immer noch nachhallt, steht sie mit festen Knien wieder auf, auch wenn sie sich noch nicht wieder zu uns dreht; vermutlich starrt sie in die hochlodernden Flammen. Im Moment seines Todes habe ich beinahe befürchtet, sie würde sich ebenfalls in das Feuer stürzen um ihn herauszuholen. Aber das hat sie zum Glück nicht getan. Dafür hat sie schreiend zugesehen. 

Abgesehen von dem Knistern der Scheite und dem leisen Fallen der Schneeflocken ist es totenstill geworden. Sämtliche Bürger erzittern vor ihrer schieren Macht, vor ihrer Kraft. Selbst du, Vater. Aber nicht ich. Ich werde niemals vor Snows Eis zittern, werde mich niemals vor ihr fürchten. Denn ich habe ihr wahres Gesicht gesehen, dass sich unter dem Schneesturm verbirgt. Ich weiß, dass sie mich nicht verletzen wird - zumindest nicht körperlich. Auch sie weiß es. Und es treibt sie in den Wahnsinn.

Langsam, wie in Zeitlupe wendet sie sich uns zu, den unwillkommenen Zuschauern. Ihren Todfeinden. So wie du zitterst, Vater, gibst du ein erbärmliches Bild ab. Fürchtest dich vor einem Mädchen, das gute dreißig Jahre jünger ist als du. Versteckst dich hinter deinen Wachen und betest innerlich.

Mit ernstem Gesicht trete ich einige Schritte vor. Snows Blick irrt zu mir und sie sieht mir tief in die Augen. Ein schwaches, bitteres Lächeln bildet sich auf ihren vollen Lippen - die böse Stiefschwester des Engels, der mich sonst immer beehrt hat. Bist du wirklich so blind, Snow? Siehst du nicht, was wirklich geschieht? Nicht ich bin es, dem dein Zorn gelten sollte. Ich bin nur eine Marionette in diesem Spiel. Den Puppenspieler solltest du verachten.

In deinen Augen sehe ich den Sturm. Sehe das Eis, das wütend herumwirbelt. Höre das Pfeifen und Brausen des Windes. Ganz so, wie du es immer beschrieben hast. Genau so, wie du es in deinen Visionen erlebt hast. Du machst dir den Sturm nicht nur untertan. Du kontrollierst ihn nicht nur. Du bist der Sturm.

Mit einem Funkeln in den Augen, das ich bei dir noch nie zuvor gesehen habe, streckst du deine Arme in unsere Richtung, die Handflächen uns zugewandt. Diese reinen, unschuldigen Hände, die von keinem einzigen Tropfen Blut besudelt wurden. Bis jetzt.

Denn ich weiß, was du tun wirst. Ich weiß es, denn ich habe eine lange Zeit an deiner Seite verbracht. Ich kenne dich besser als du selbst, Snow. Besser als jeder andere dich kennen könnte. Denn die einzige Person, die mich darin übertrumpfen könnte, ist tot. Dafür hat der Fadenzieher gesorgt.

Deswegen bist du auf mich sauer, nicht wahr, Snow? Du siehst nicht, dass ich keine Schuld trage. In deinen Augen bin ich nur noch ein Monster, das mit den Gefühlen eines Mädchens gespielt hat - auch, wenn das nicht stimmt. Egal, was ich dir sage, du wirst mir nicht glauben, bis es der Täter selbst gesteht.

Mit einem traurigen, hasserfüllten Lächeln und im Wind wehenden Haaren lässt du trotz allem was war die Hölle auf uns los...


Burning IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt