Reglos hänge ich in den Ketten, die meinen tauben Körper aufrecht halten. Man hat mich ausgepeitscht - irgendwann. Ich spüre nichts, nicht einmal das Blut, das an meinem Körper hinabläuft und langsam eintrocknet.
Ich befinde mich mittlerweile in einem anderen Raum als vorhin. Kerker - so hat man diesen Ort genannt. Die Gitterstäbe um mich herum sorgen dafür, dass ich mir wie abgeschnitten von der Welt vorkomme.
Um mich herum herrscht Stille. In mir drin herrscht Stille. Überall ist es still. Manchmal meine ich zu hören, wie jemand flüstert.
Flüstern. Ich weiß gar nicht mehr, wie meine Stimme klingt - ich habe sie seit einer Ewigkeit nicht mehr genutzt. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schon hier bin. Wie lange es her ist, dass meine Welt zerbrochen ist. Wie es dazu gekommen ist. Ich weiß gar nichts mehr.
Manchmal höre ich eine Stimme neben mir, die mir Dinge einflüstert. Eine verführerische Stimme, die mich verschiedene Dinge fragt. Wo ein Junge ist, dessen Namen ich schon vergessen habe, in dem Moment, in dem er gefallen ist. Wo er sich aufhält. Wo er sich versteckt. Wie nah ich einem anderen stehe - auch seinen Namen habe ich vergessen. Wen ich mag. Wen ich liebe. Wer mir wichtig ist.
Ich antworte nie. Meine Stimme fühlt sich unendlich weit weg an. Genauso wie alle anderen Sinne von mir. Es ist, als würde ich durch ein Fenster blicken.
Ein leises Tappen ertönt, das in meinen Ohren widerhallt. Es erscheint mir ungewöhnlich laut. Ein Licht blitzt auf, das in meinen Augen brennt. Ich handle aus einer Art Instinkt, als ich sie zukneife und mein Körper sich anspannt. Die Ketten klirren leise bei der kaum merklichen Bewegung.
Die Schritte kommen immer näher. Tapp, tapp, tapp. Immer näher. Tapp, tapp, tapp.
Die Männer, die wie Statuen vor den Türen stehen - hinter diesen Gitterstäben -, machen nie Geräusche. Selbst, wenn sie sich bewegen. Das bedeutet, jemand anderes kommt. Aber wer? Tapp, tapp, tapp.
Mir ist egal, wer es ist. Ich kenne ja doch keine Namen mehr, kenne keine Gesichter mehr. Ich will nichts mehr - nichts als Ruhe. Tapp, tapp. Tapp.
Das Licht ist noch greller, als die Person, die es in der Hand hält, in meinem Blickfeld stehen bleibt. Ein erschrockenes Aufkeuchen schneidet durch die Stille um mich herum. Ich kann das Gesicht der Person nicht sehen - die Gestalt trägt einen langen, wallenden Mantel mit Kapuze. Letztere ist tief hinuntergezogen, sodass ich nichts in der Dunkelheit dahinter erkennen kann.
"Snow", flüstert eine Stimme. Eine weibliche Stimme. "Snow, was haben sie mit dir gemacht?" Die Frau umklammert die Fackel fester, die sie in der Hand hält.
Snow. Ist das mein Name? Ich kann mich nicht erinnern. In mir fühle ich nichts - nicht einmal die geringste Regung. Vielleicht ist das auch eine von den Gestalten, die mir Informationen entlocken will. Ich blinzle die Frau nur ratlos an. Hätte ich gekonnt, hätte ich den Kopf schief gelegt, aber da war diese Art Halsband, die es mir unmöglich machte, den Kopf zu bewegen.
Sie stöhnt leise auf. "Snow", wiederholt sie, diesmal nachdrücklicher. "Dein Name ist Snow. Du bist die Prinzessin von Luna, du hast einen Zwillingsbruder namens Ice und noch zwei Schwestern. Du bist die Verlobte von Lucien, dem Prinzen von Sol, nachdem du von ihm auf einem Sklavenmarkt gekauft worden bist."
Noch immer fühle ich nichts - nichts außer einem dumpfen Ziehen in meiner Brust. Das ist mehr als ich seit Ewigkeiten gespürt habe. Ich habe den Überblick über die Zeit vollkommen verloren. Ich habe völlig vergessen, wo ich bin. Ich wünschte, die Frau würde mir meine Fragen beantworten können. Ich wünschte, ich könnte die Fragen stellen. Aber noch immer fühlt sich meine Stimme unendlich weit entfernt an und meine Kehle ist ausgetrocknet und wund.
Die Frau wirft einen schnellen Blick in die Richtung, aus der sie gekommen ist. "Ich kann nicht lange bleiben, Snow. Aber es gibt einige Fragen, die du mir beantworten musst." Sie hält inne, lauscht. Dann wendet sie sich wieder mir zu. Sie wartet meine Zustimmung gar nicht erst ab.
"Blinzle ein Mal für Ja, zwei Mal für Nein, drei Mal, wenn du die Frage nicht verstanden hast. Hast du Lucien in letzter Zeit gesehen?" Noch immer blicke ich sie ratlos an, diesmal jedoch ohne mit der Wimper zu zucken. Sie stöhnt wieder auf. "Lucien - ein Mann mit feuerroten Haaren, sehr arrogant und selbstverliebt und ein ziemlicher Idiot."
Wieder regt sich etwas in mir.
Lucien, Lucien, Lucien.
Ich habe den Namen schon einmal gehört. Ich kenne den Namen, ich kannte die Person. Ich blinzele zwei Mal.
Sie nickt vor sich hin. "In Ordnung. Nächste Frage. Kennst du den Weg hinaus?"
Ich brauche nicht lange zu überlegen. Sofort blinzele ich zwei Mal.
Wieder nickt sie nur und wirft einen schnellen Blick nach links. Dann tritt sie näher. "Eine letzte Frage, Snow. Kannst du dein Eis benutzen?"
Etwas Bitteres regt sich in mir. Ich blinzele zwei Mal und verenge unwillkürlich die Augen. Sie ist auf der Seite dieser Männer - sie ist eine von ihnen. Ich habe nichts Schlimmes verraten. Ihre Ausdrucksweise ist anders als die von diesem kugelrunden Mann, aber auch sie hat die Frage nach meiner Macht gestellt.
Wieder wirft sie einen nervösen Blick in die Richtung, aus der sie gekommen ist und kaum hörbar schnappt sie nach Luft. Sie lässt das Holzstück fallen und tritt kurzerhand das Feuer aus. Dunkelheit schwappt wieder über mein Sichtfeld und wieder bin ich für einen Moment geblendet.
Als ich wieder sehen kann, ist die Frau fort, und nichts zeugt mehr davon, dass sie jemals da war.
Aber ihre Worte haben etwas in mir aufgerührt.
Snow, Snow, Snow. Prinzessin. Luna.
Ice, Ice, Ice. Zwillingsbruder.
Lucien, Lucien, Lucien. Prinz. Sol.
Namen - das sind einige der Namen, die ich vergessen habe, einige der Personen, von denen ich keine Ahnung mehr habe, wie sie aussehen. Personen, die mir mal wichtig waren.
Auch in den nächsten Malen, die ich ausgepeitscht, geschnitten, geschlagen und mit Fragen bedrängt werde, höre ich noch die Namen in mir widerhallen. Und ganz leise, kaum bemerkbar, beginnt etwas in mir stumm zu antworten - nicht mit Worten, sondern mit Bildern. Erinnerungen.
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Burning Ice
Fantasy↬Wenn Feuer und Eis einander begegnen...↫ ...Wie ein Kaninchen drängt er mich rückwärts an die Wand. Er hält meine Handgelenke über meinem Kopf fest und nagelt mich förmlich an Ort und Stelle. "Nie wieder", knurrt er. In seinen Augen leuchtet die Wu...