Siebenundzwanzig

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Nach dem erfolgreich abgewandten Kreuzverhör zwischen Lucien und mir herrscht eine Art Waffenstillstand zwischen uns.

Ich spiele ohne zu Murren seine Verlobte - eine Glanzleistung, wenn ich das so sagen darf - und überlasse es ihm, neue Lügen über unsere Geschichte zu spinnen.

Er lässt mir im Gegenzug meine Ruhe - er bedrängt mich nicht. Abgesehen von den öffentlichen Mahlzeiten sehe ich ihn gar nicht mehr.

Die Tage verbringe ich daraufhin meist schlafend, die Nächte dagegen bei dem Rinderhirten, den ich im Wald angetroffen habe. Jeden Abend wartet er mit seiner Herde an der selben Stelle, vor demselben Feuer, auf demselben Baumstumpf, immer mit frischem Fisch, der über dem offenen Feuer gebraten wird.

Wir haben uns über die Zeit hinweg immer mehr Geschichten voneinander erzählt - Schöne wie Schlechte. Aber ich wage es nicht, ihm zu erzählen, welchen Rang ich innehabe. Welchem Hause ich entstamme und welche Rolle ich zu spielen gezwungen bin. Auch er erzählt mir längst nicht alles, aber wir haben beide nichts dagegen, einige Geheimnisse voreinander zu haben. Es macht die Sache im Gegenteil noch interessanter und verleiht dem Mondlichtgeplauder einen mysteriösen Hauch.

Die Ruhe ist angenehm, und im Nu verfliegt ein Monat. Dann noch einer. Und noch einer.

Die Frau, die mich am ersten Tag meiner Ankunft angekleidet hat, heißt Cheri. Sie wird zu einer großen Stütze an diesem Hof voller Schlangen und ich bin dankbar für die weibliche Gesellschaft. Von ihr habe ich erfahren, dass die Meisten Adeligen bei Schloss die Bediensteten nicht gerade gut behandeln - sie werden wie Vieh herumgescheucht und kaum einer fragt nach ihrem Hintergrund.

Diese Geschichte hat mich umso mehr dazu bewogen, jede Person nach ihrem Namen zu fragen und so passiert es, dass ich mich auf dem Weg zum Mahl, egal zu welcher Tageszeit, oft verspäte, denn ich halte vor jeder Person an, egal wer es ist, und stelle dieselben Fragen. Die Adeligen tun meine Unpünktlichkeit mit einem grimmigen Grinsen ab, die Bediensteten jedoch werfen mir immer wieder ein Lächeln oder ein Nicken zu, wenn sie mich sehen.

Bis schließlich etwas meine Ruhe stört. Denn eines Tages finde ich eine atemlose, zerknirschte Cheri in meinem Zimmer, in ihrem Blick kein Hinweis darauf, was mich erwartet.

Burning IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt