Neun

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Das Kreischen von Vögeln weckt mich. Anscheinend bin ich entweder eingeschlafen, oder aber ohnmächtig geworden. Panisch fliegt mein Blick zu der Stelle, an der Freedom angekettet war. Ihre Handschellen haben sich durch das eiskalte Wasser gelöst und für einen Moment befürchte ich das Schlimmste - aber dann höre ich ein Seufzen hinter mir.

Da liegt sie, ihr Körper bedeckt von getrocknetem Salz, nur an Ort und Stelle gehalten von den kläglichen Überresten des Eiskokons, der uns in der stürmischen Nacht das Leben gerettet hat. Mindestens genauso überrascht wie ich sieht sie mir entgegen. Bevor ich weiß, wie mir geschieht, bilden sich Tränen in meinen Augen und ich schluchze leise auf. Freedom hat überlebt. Wir haben es wirklich geschafft!

Kaum, dass sie meine Tränen sieht, fängt auch sie an zu weinen. Aber überglücklich wie wir sind, grinsen wir uns an. Erst einige Sekunden später werfen wir einen Blick in die Richtung, von der das Kreischen der Vögel kommt - Möwen, hat Ice mir einst erzählt - und mir bleibt der Mund offen stehen. Da ist es, das Festland. Sol, in all seiner grünen, warmen Pracht. Durch die starke Sonne hier schmilzt mein Eis innerhalb von wenigen Sekunden und sogar die schrecklichen Kopfschmerzen kann ich für einen Moment ausblenden. Wir sind in Sol angekommen, in dem Land, das offiziell von unseren Todfeinden bewohnt wird.

Es dauert nicht lange, bis wir anlegen und die Matrosen vom Inneren des Schiffs herauseilen. Zuallererst bringen sie die wenigen Lebensmittel heraus, die noch verblieben sind. Keiner achtet auf uns Zwei.

Erst nach einer Weile werden die Mädchen nach oben geholt und aneinander gekettet. Sie beachten uns sehr wohl und während einige uns überraschte Blicke zu werfen, strahlen einige. Mindestens genauso begeistert grinsen wir ihnen entgegen und reihen uns als die Letzten ein. Jede Einzelne von ihnen hält sich gerade und sieht jedem, der vorbeikommt, stolz entgegen, obwohl ihnen allesamt die Kleidung ausgezogen wurde und sie so vollkommen entblößt dastehen.

Stolz erfüllt mich, als ich sehe, wie sehr sich ihr Verhalten verändert hat, im Vergleich zum Anfang. Sie alle haben sich da einschüchtern lassen, haben sich folgsam eingekugelt und den Männern ihren Triumphmoment gegeben. Aber das tun sie nicht mehr. Sie stehen selbstbewusst und kerzengerade da, ohne einen Zweifel oder eine Angst, mit durchgedrückten Schultern und einem regelrechten Feuer in den Augen.

Sobald alles weggebracht wurde, widmet man sich wieder uns. Ganz vorne halten zwei der Sklaventreiber die Ketten fest und führen unsere Truppe vom Schiff die Küste entlang, durch die überfüllten Straßen der Stadt hindurch - vorbei an neugierigen, höhnischen Blicken - und zu einem riesigen Stand auf dem großen Marktplatz. Hinter dem Stand befindet sich eine Art Hütte auf Rädern. Wir werden dorthin geführt und nach einer kurzen Zeit des Wartens kommen vier Frauen auf uns zu, die mit gesenktem Blick Eimer an Süßwasser über uns entleeren und uns sachte sauber schrubben.

Klatschnass stehen Freedom und ich schließlich nebeneinander, das breite Grinsen immer noch auf den Lippen. Unsere kleine Erzählstunde während des Sturms hat eine Art unsichtbares Band zwischen uns erschaffen, dass uns beide miteinander verbindet, sodass wir vor Freude regelrecht strahlen.

Aber die Freude wird nicht mehr lange währen, denn ich schnappe von einigen der Sklaventreiber auf, dass in gut zwei Stunden die Auktion beginnt. Dann werden nacheinander alle Sklaven vorgestellt, und sobald das erledigt ist, werden die Menschen auf dem Marktplatz anfangen, sich gegenseitig mit dem Preis zu überbieten, bis ein eindeutiger Käufer feststeht.

Das bedeutet, Freedom und ich werden in zwei Stunden für eine sehr lange Zeit, vielleicht sogar für immer, getrennt werden. Diese Erkenntnis liegt mir ziemlich schwer im Magen. Ich kann nur hoffen, dass sie an einen guten Ort kommt und einen vernünftigen Käufer abbekommt, der sie nicht wie ein lebloses Stück Ware behandelt, wie es die Sklaventreiber tun.

Burning IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt