Mit Tränen in den Augen starre ich Lucien an, die Arme um meinen eigenen Leib geschlungen, die Augen weit aufgerissen, der Blick unstet und gehetzt. "Lass mich nicht im Stich", hauche ich leise.
Lucien schnaubt betont, das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen verzogen. "Was soll ich schon mit einem Miststück anfangen, dass sich um den niederen Pöbel schert?", spottet er.
Betroffen lege ich mir eine Hand aufs Herz, weiche einen Schritt zurück, lasse die Tränen fließen. Seine Worte sind wie ein körperlicher Schlag.
"Du hast dein Schicksal besiegelt, als du diesen Mischling gevögelt hast", fährt er laut fort und sein Grinsen wird breiter, "Und ich nehme keine beschädigte Ware an."
Unkontrolliert öffne und schließe ich den Mund, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Weiche noch einige Schritte zurück. Kralle die Finger in den dünnen Stoff, der meine Brust bedeckt. Lasse den Blick panisch nach rechts und links schweifen, auf der Suche nach etwaigen Verfolgern. "Du kannst mich doch nicht einfach hier zurücklassen", flehe ich, ein Wort lauter als das Vorangegangene.
"Oh nein", schnurrt Lucien und vergräbt die Hände in den Hosentaschen. "Ich bringe dich zurück ins Schloss." Fragend legt er den Kopf schief, der Blick unschuldig und rein. "Wie lange du wohl ohne Essen und Trinken überlebst?"
Leise wimmere ich, weiche noch weiter zurück, stolpere über eine Wurzel, hinein in einen Busch. Die spitzen, langen Äste stechen schmerzhaft in meine Arme, aber ich habe gerade ganz andere Sorgen.
Starke Hände packen mich unter den Schultern und reißen mich hoch. Mit einer einzigen, fließenden Bewegung haben die zwei Männer hinter mir meine Hände mithilfe eines Seils aneinander gefesselt. Einer hält das Ende des Seils in der Hand, der andere hält mich schmerzhaft fest mit seiner Pranke von Hand am Oberarm fest.
Lucien hebt fragend die Augenbrauen. "Was tut ihr denn hier?"
"Wir nehmen Euch die Arbeit ab, diese Göre zurück in den Palast zu bringen", brummt der, wegen dem ich sicherlich blaue Flecken bekommen werde.
Flehend sehe ich Lucien an. "Das kann doch nicht dein Ernst sein!", rufe ich mit schriller Stimme.
Aber er grinst nur und winkt unbestimmt in die Richtung, aus der die Soldaten kamen. Eine stumme Aufforderung, der sofort Taten nachfolgen.
Ob ich will oder nicht, die Soldaten drehen auf dem Absatz um und schleifen mich hinter sich her. Wild werfe ich mich herum, versuche noch einen Blick auf Lucien zu erhaschen. "Hör auf damit, oder ich schlitze dir gleich hier die Kehle auf", zischt der Soldat neben mir und legt drohend die Hand an den Waffengürtel um seine Hüfte, an dem unzählige Dolche und ein Kurzschwert hängen.
Wimmernd drehe ich nur den Kopf, um den Prinzen ein letztes Mal zu sehen.
Der grinst breit, ein loderndes Feuer in den Augen, legt eine Hand auf die Brust und verneigt sich vor mir. Tief. Eine Geste der Zuneigung. Der Ehrfurcht. Der Dankbarkeit. Und eine Entschuldigung.
Denn alles davon, jeder Atemzug, jede Träne, jede noch so kleine Bewegung, war inszeniert gewesen. Ein pures Schauspiel. Wir sind wirklich ein gutes Duo, du und ich, Lucien. Wir harmonieren perfekt, ohne uns wirklich abgesprochen zu haben. Die wenigen Minuten, die wir hatten, bevor dieser Suchtrupp bei uns angelangt ist, hast du klug genutzt - durch grobe, hastige Erklärungen.
Freedom kann spüren, wenn sich Feinde nähern. Eine kostbare Gabe - und wohl eine Abwandlung der Elementmacht. Denn Freedoms Haare sind rot, wie die der Feuergeborenen, und doch besitzt sie keine Feuermagie. Aber ihre Augen - sie strahlen und glühen hell, grüner als die saftigen Wiesen und Felder hier in Sol, grüner als Smaragde, grüner als alles, was ich je gesehen habe. Sie sieht die finstere Flamme der Gewalt, des Hasses und Sadismus in den Menschen, sie spürt sie. In diesem Zustand ist sie aber für einige Minuten wehrlos, weil ihr Geist die Grenzen ihres Körpers verlässt. Vielleicht ließe sich das umgehen, wenn sie genug Erfahrung mit dieser Gabe gesammelt hätte. Aber noch hatten meine Freunde keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Cheri bringt sie gerade in Sicherheit, zurück in das Lager, in dem der Widerstand sich sammelt.
Ein Lager, an das dieser Suchtrupp gefährlich nahe herangekommen ist. Dadurch, dass man mich und Lucien etwas weiter vorne entdeckt hat, wird man die indirekte Bühne unseres Theaters als Ausgangspunkt nehmen und von dort aus immer größere Kreise ziehen. Ein Ausgangspunkt, den wir gewählt haben, und mit dem wir dem Widerstand ausreichend Gelegenheit und Zeit zur Flucht geben. Das ist zumindest Part eins des Plans.
Dass ich verschleppt werde, ist ebenfalls etwas, auf das wir mit voller Absicht abgezielt haben. Etwas geht im Schloss vor sich. Alle nicht unbedingt nötigen Bediensteten sind weggeschickt worden, die Adeligen haben sich in ihre Residenzen verkrochen. Die Zahl der Soldaten ist erhöht worden und in unregelmäßigen Abständen wird ein Suchtrupp ausgeschickt. Schichtwechsel scheint ebenfalls willkürlich stattzufinden - es lässt sich einfach kein Plan dahinter erkennen.
Was ist im Palast, dass derartige Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden? Wer ist im Palast, der davor nicht da war?
Es ist meine Aufgabe das herauszufinden. Kombiniert mit unzähligen anderen, kleineren Aufträgen, die ich alleine verfolge. Nicht, weil Lucien sie mir aufgetragen hat - sondern, weil ich sie selbst verfolgen will.
Ich werde singen und diesen morbiden Königshof vernichten.
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Burning Ice
Fantasy↬Wenn Feuer und Eis einander begegnen...↫ ...Wie ein Kaninchen drängt er mich rückwärts an die Wand. Er hält meine Handgelenke über meinem Kopf fest und nagelt mich förmlich an Ort und Stelle. "Nie wieder", knurrt er. In seinen Augen leuchtet die Wu...