Dreizehn

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[Aus meiner Panik heraus gefrieren die Ketten und endlich, endlich bin ich frei. Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken springe ich von der Gesteinsplatte und stürme auf meinen Zwillingsbruder zu.]

Ohne zu zögern nehme ich sein Gesicht in meine Handflächen und zwinge ihn mich anzusehen. Seine Haut ist eiskalt, die Luft fängt an klirrend kalt zu werden. Die Nähe zum Meer macht das Ganze hier noch gefährlicher als ohnehin schon. Immer wieder murmele ich seinen Namen und schüttele ihn durch. "Ice, du darfst das nicht. Es ist alles gut. Hier sind unzählige unschuldige Bürger. Es mag ja sein, dass wir Krieg gegen Sol führen, aber dafür können diese Menschen hier nichts. Du darfst jetzt nicht angreifen. Die Chance, das etwas schief läuft, ist viel zu hoch. Mir geht es gut", rede ich ohne Unterlass auf ihn ein, während ich unter seine Kapuze in sein Gesicht starre.

In seinen grauen Augen tobt ein Sturm, aber ein wenig Leben kehrt in sie zurück. "Snow?", fragt er heiser und nimmt mich in den Arm. Energisch nicke ich und klammere mich ebenfalls an ihn. Er scheint in einer Art Trance gefangen zu sein - alles, was gerade in ihm zu existieren scheint, ist die Wut eines Eisgeborenen.

"Beruhige dich, Ice. Es ist alles gut, man hat mir nichts angetan. Ich bin frei. Frei", flüstere ich ebenso leise und wiederhole das letzte Wort immer wieder.

Ihm entfährt ein leiser Laut und der Sturm in seinen Augen legt sich langsam. Er schließt mit einem Seufzen die Augen. "Du warst plötzlich nicht mehr da, als ich nach Hause gekommen bin. Niemals hätte ich gedacht, dass er...", seine Stimme bricht und mein Herz schmerzt bei der Verletzlichkeit in seiner Stimme.

Ich schüttele den Kopf. "Es war immer klar, dass er mich irgendwann verkaufen würde, immerhin bin ich für ihn immer nur ein Mittel zum Zweck gewesen." Mit einem kleinen Lächeln streiche ich ihm durch die Haare, das aber ebenso schnell wieder erlischt. "Ice, was tust du hier. Du weißt, dass du in Lebensgefahr schwebst, wenn du hier bleibst", murmele ich so leise, dass keiner uns verstehen könnte, selbst, wenn jemand neben uns stehen würde. Es reicht ohnehin schon, dass wir von allen Seiten neugierig angestarrt werden. "Du musst schnellstens wieder weg von hier." Auch, wenn es mir selbst wehtut, drücke ich ihn ein Stück weit von mir fort und lasse ihn somit los.

"Nicht ohne dich", beharrt er und minimiert den Abstand zwischen uns erneut. "Ich werde keinen Schritt ohne dich zurückweichen."

Mit mir selbst ringend beiße ich mir auf die Unterlippe. Meine Umgebung ist mir gerade sowas von egal, genauso wie der Prinz, der in einiger Entfernung noch immer argwöhnisch zu uns hinüber starrt. Es sieht ganz so aus, als würde sein Kopf rattern. Er versucht herauszufinden, was ihn an der Situation stört - was ihn an dem Namen stört. Ich sollte das hier zu einem Ende bringen, ehe es eskaliert.

Ich atme einmal tief durch, ehe ich mit kräftiger Stimme das finale Wort ausspreche: "Nein." Mit zusammengebissenen Zähnen trete ich noch einen Schritt von ihm zurück. Und noch einen. Und noch einen. "Dein Platz ist nicht hier. Du hast noch eine Aufgabe zu erledigen. Ich dagegen... Ich bin frei, Ice. Zwar nicht ganz so frei wie man sein könnte, aber im Vergleich zu der Hölle, die ich durchlebt habe, ist das hier ein Segen. Du musst ohne mich zurückgehen." Ich schubse ihn sanft ein Stück Richtung Hafen.

Seine Augen werden groß und ihm steht der Mund leicht offen. Verletzlichkeit huscht über sein Gesicht und getroffen verzieht er es, ehe er sich die Kapuze tiefer ins Gesicht zieht. Er verschließt sich vor mir. Er zieht sich zurück. Während es mir das Herz bricht, erleichtert es mich ein wenig. Die grauen Gewitterwolken, die sich über uns haben sammeln wollen, ziehen sich zurück und lassen den strahlend blauen Himmel zurück.

Burning IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt