[Damit bleibe ich alleine mit einem feurigen Prinzen, der besonders kontaktfreudig zu sein scheint und dem Anschein nach meine Nähe sucht, auf dem Marktplatz stehen, umringt von einer blassen, totenstillen Menschenmasse.]
Ein tiefes Seufzen entfährt dem Feuergeborenen neben mir. Für einen Moment schließt er die Augen und atmet tief durch, ehe er sie wieder öffnet und mich mit einem Schnauben breit angrinst. Da war jemand offenbar sehr besorgt, trotz seiner augenscheinlichen Gelöstheit. Sein Griff um meine Taille verstärkt sich und er lässt mich nicht los, selbst als er sich zu dem Sklavenhändler auf der Steinplatte umdreht. "Ich habe gehört, es bleibt neben dem hier noch ein Mädchen?", fragt er immer noch lächelnd nach.
Der Händler nickt und ich werfe einen überraschten Blick zu dem Vorhang. Freedom! Sie habe ich bei der ganzen Panik beinahe vergessen. Mein schlechtes Gewissen nagt an mir. Lucien sieht mich von der Seite mit einem unergründlichen Ausdruck an. "Du hast zehn Minuten, Prinzessin", murmelt er. Damit verpasst er mir einen leichten Klaps auf den Hintern und steigt selbst auf die Bühne. Am liebsten hätte ich ihn geohrfeigt - aber es gibt gerade wichtigeres.
Ich merke, er will eine längere Beruhigungsrede für das Volk halten, damit keine Massenpanik ausbricht oder Spekulationen angestellt werden, wer die beiden Eisgeborenen waren, die unverschämt mit dem Prinzen Sols geredet haben. Da ich aber nicht vorhabe, mir die Lügengeschichten anzuhören, die er in die Welt setzen will, eile ich selbst in den Holzwagen zu Freedom.
Diese sitzt mit angezogenen Knien, großen Augen, tränenüberströmten Wangen und leerem Blick in der Ecke neben dem Vorhang. Als ich vor ihr stehen bleibe, mich hinknie und einen Arm ausstrecken will, um ihre Tränen wegzuwischen, weicht sie zurück. "Fass mich nicht an", flüstert sie erstickt und der Hass in ihrer Stimme ist wie eine Ohrfeige für mich. "Du hast mir verschwiegen, wer du bist. Du hast mir verschwiegen, dass du die Prinzessin Lunas bist und damit die Schwester des Mörders meiner Mutter!", schreit sie.
Betroffen beiße ich mir auf die Unterlippe und lasse meinen Arm sinken. Schuldbewusst senke ich den Blick und falte die Hände im Schoß. "Ich hatte Angst, dass du dich von mir abwendest. Ich hatte Angst, dass ich wieder alleine bin", flüstere ich zu meiner Verteidigung leise, während ich selbst ebenfalls mit den Tränen kämpfe. So ehrlich bin ich in meinem Leben bisher nur Ice gegenüber gewesen.
"Es wäre mir egal gewesen", faucht sie, "Es wäre mir gottverdammt egal gewesen! Natürlich wäre ich ein wenig verletzt, aber das wäre besser gewesen, als mich in einer Scheinwelt leben zu lassen!" Freedom verstärkt ihren Griff um ihre Knie und ich merke, wie dieses unsichtbare Band, das wir aufgebaut haben, sich bedrohlich auseinander zieht.
Während die mir altbekannte Eismauer mein schmerzendes Herz umschließt, hebe ich wieder den Blick und sehe ihr fest und unnachgiebig in die Augen. "Ich weiß. Es tut mir leid. Aber", spreche ich weiter und gebe meinem Geist damit ein wenig mehr Zeit, die Mauer aufzubauen, die ich bitter nötig haben werde, wenn ich ausspreche, was ich aussprechen möchte. Ich atme tief durch, dann richte ich mich auf. "Ich hatte noch nie eine Freundin. Die einzigen Personen, die nett zu mir waren, waren meine kleine Schwester Ann und mein Zwillingsbruder Ice. Das soll keine Entschuldigung sein; ich habe Mist gebaut und dazu stehe ich auch. Aber ich will, dass du weißt, dass Ice keine andere Wahl hatte."
Als sie ihre Ohren mit den Händen bedecken will, nehme ich diese sanft in meine Hände und halte sie fest. Wie erwartet versucht Freedom mich abzuschütteln, aber ich lasse nicht locker, auch, als sie anfängt nach mir zu treten.
Ich lasse es geschehen, während ich weiter rede. "Der Mann, den ich meinen Vater genannt habe, hat mich, eine Eisgeborene, die besonders anfällig für Hitze ist, tagtäglich mit Flammen gefoltert. Unzählige Narben hat mein Körper davon davongetragen, aber die sind nichts im Vergleich zu denen, die mein Geist erlitten hat. Es hat mich beinahe gebrochen. Es hat mich fast in den Wahnsinn getrieben. Fast."
Noch einmal atmete ich durch. "Dadurch, dass ich litt, waren Ice die Hände gebunden. Ihm blieb nichts anderes übrig als zu gehorchen, wenn er nicht wollte, dass ich starb. Denn mein Vater hätte mich jederzeit ohne mit der Wimper zu zucken sterben lassen können. Einmal hat er ihn sogar damit erpresst, mich vergewaltigen zu lassen, wenn Ice nicht tat, was er verlangte. Jeden zweiten Tag musste Ice tatenlos zusehen, wie ich an den Rande des Todes gebracht wurde, bis entweder er zustimmte die Drecksarbeit meines Vaters zu erledigen oder ich flehend am Boden lag, aller Hoffnungen beraubt. Das Ziel der Folter variierte nach der Laune meines Vaters."
Freedom hat aufgehört um sich zu schlagen. Stattdessen starrt sie mich mit großen Augen an. Aber das war noch nicht das, das ich ihr habe sagen wollen. "An dem Tag, an dem die Soldaten eine entflohene Frau jagten, die unerlaubter Weise in den Schatten als Hure arbeitete, waren meine Qualen besonders schlimm. Man hat eine Metallpeitsche erhitzen lassen bis sie glühte und mich anschließend ausgepeitscht. Ice musste zusehen." Meine Stimme bricht für einen Moment und ich brauche eine kurze Pause, um nicht zusammenzubrechen.
Nachdem ich mich wieder gefasst habe, fahre ich mit festem Blick fort. "Noch am selben Tag stimmte Ice zu, einen Plan zu erstellen, durch den die Frau gefasst werden sollte. Vorgesehen war eigentlich gewesen, dass man sie aufgreift, ins Schloss bringt, sie dort hinrichtet und ihrem Kind eine zweite Chance lässt, indem man es einer Adeligen in die Obhut gibt. Aber die Soldaten waren betrunken, ihr Geist vernebelt und Ice war untersagt worden, selbst zu agieren. Zu viele hat er schon auf mysteriöse Art und Weise entkommen lassen, wenn er selbst am Schauplatz anwesend war. Die Soldaten haben nicht nach dem Plan meines Bruders gehandelt, sondern sich im Gegenteil verselbstständigt. Direkt nachdem mein Vater dann eröffnet hat, dass sie ohne eine Strafe davonkommen würden, hat Ice wie wild getobt und sich nachts selbst auf den Weg gemacht, Vergeltung zu üben. Jeder einzelne der Männer ist tot, Freya. Und Ices Tat wurde ausgeglichen, indem man mich solange mit Methoden quälte, die du dir gar nicht vorstellen kannst, bis das Leben für mich nur noch eine blasse Erinnerung war."
Nachdem ich solange ohne Pause gesprochen habe, lasse ich wieder einige Sekunden stumm verstreichen. Hinter mir höre ich federnde, kräftige Schritte. "Die Zeit ist um", höre ich Lucien hinter mir sagen. Es ist mir egal, ob er alles mitangehört hat. Es ist mir egal, was er nun von mir hält oder wie er mit mir verfahren wird.
Ein letztes Mal drücke ich Freyas Hände, die von mir den Spitznamen Freedom erhalten hat und nun geschockt mit großen Augen durch mich hindurch starrt. Ob sie in gute Hände kommt oder nicht scheint nicht länger an mir zu liegen. Dann stehe ich schwungvoll auf, drehe mich zu Lucien um und sehe ihm für einen Moment ausdruckslos direkt in die Augen. In seinem Blick liegt Mitleid, und eben dieses macht mich gerade wütend. Mit einem unüberhörbaren Schnauben gehe ich an ihm vorbei, hinaus in die erbarmungslos scheinende Sonne und lächle ironisch, als ich mir die Füße verbrenne, weil das Gestein aufgeheizt ist und ich noch immer nicht mehr als ein enges Männerhemd trage. Zuvor hat mein Eis durch das Adrenalin noch meine Füße gekühlt - davon ist nun nichts mehr zu spüren.
Innerhalb von wenigen Sekunden hat Lucien mich eingeholt und geht schweigend neben mir her, wobei er wieder seine Hand an meine Hüfte legt um zu symbolisieren, dass ich als gerade erworbene Ware ihm gehöre. Kotz. Damit lasse ich mein altes Leben in Form eines kleinen, schäbigen Holzwagens zurück und gehe meiner ungewissen Zukunft entgegen.
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Burning Ice
Fantastik↬Wenn Feuer und Eis einander begegnen...↫ ...Wie ein Kaninchen drängt er mich rückwärts an die Wand. Er hält meine Handgelenke über meinem Kopf fest und nagelt mich förmlich an Ort und Stelle. "Nie wieder", knurrt er. In seinen Augen leuchtet die Wu...