Sieben

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"Jetzt!", schreie ich über das Tosen der Wellen hinweg, um Freedom zu warnen.

Keine Sekunde später halten wir beide die Luft an, während eine eiskalte Welle über uns hinwegschwappt. Eine von vielen. Kaum hat sie sich zurückgezogen, atmen wir keuchend ein. Das erbarmungslose Eisen schneidet in meine Handgelenke, aber das ist mir sowas von egal, genauso wie das Brennen, das ich spüre, weil das Meer voller Salz ist und meine Narben ungehindert berühren kann. Für mich zählt nur, dass ich Freedom hier lebend hindurch schaffen muss.

Wieder schreie ich kurz bevor eine weitere Welle über uns zusammenbricht. Aber diese hier ist größer als die Anderen zuvor. Ich muss etwas unternehmen. So lange kann Freedom die Luft nicht anhalten, sie wird ertrinken bevor das Wasser sich wieder zurückzieht. Um mich muss ich mir keine Sorgen machen - eine wichtige Eigenschaft der Eisgeborenen ist, dass wir weder ertrinken noch erfrieren können. Aber Freedom ist ein normaler Mensch. Sie hat keine solchen Gaben.

Und Freedom darf nicht sterben. Wenn Freedoms Leben erlischt, erlischt auch die Hoffnung auf Freiheit, sowohl bei mir als auch bei den anderen Mädchen. Das muss ich verhindern. Außerdem - ich will nicht, dass Freedom stirbt. Sie ist mir ans Herz gewachsen. Ich kann nur hoffen, dass das kein Fehler ist, Ice. Ich hoffe es wirklich.

Durch die Panik beschließt meine Macht auszubrechen, kurzerhand gefriert das Wasser über unseren Köpfen, bevor es uns überschwemmen kann und schafft somit eine Luftblase für uns. Keuchend schnappt Freedom nach Luft und haucht ein leises Stoßgebet zu den Göttern.

Vielleicht sollte ich mal erklären, was eigentlich passiert ist. Den ersten Tag, den wir hier angekettet waren, ist nichts besonderes passiert. Aber am zweiten Tag, in der Nacht, ist der Sturm ausgebrochen und hat das Meer aufgewirbelt. Seitdem schwankt diese Nussschale von Schiff und wirft uns hin und her, während eiskalte Wellen über die Reling treten und uns überschwemmen. Ich kann nicht sagen, wie lange wir hier schon ausharren, aber es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, da die Sekunden quälend langsam vergehen und ich mit jeder einzelnen befürchten muss, dass Freedoms Gesundheit schlapp macht. Und wenn sie in Ohnmacht fällt, ist das ihr sicheres Ende.

Eine Art Hustkrampf schüttelt Freedoms ganzen Körper und sie zittert stark. Immer noch keuchend erbricht sie immer wieder Wasser und verzweifelt beiße ich mir auf die Unterlippe. Die letzte Welle hat sie hart erwischt. Meine Angst macht sich auch in meiner Macht bemerkbar und verzweifelt schlägt sie immer und immer wieder um uns herum ein, bis wir vollends umgeben sind von einem Kokon aus Eis und die Geräusche nur gedämpft zu uns durchdringen.

"Du darfst jetzt nicht aufgeben!", schreie ich ihr zu in der Hoffnung, dass sie mich hört, denn ihre Augen schließen sich langsam und ihr Körper fängt an, schlaff zu werden. "Nur noch wenige Sekunden! Du musst nur noch wenige Sekunden durchhalten!" Eine Lüge. Ich habe keine Ahnung, wie lange der Sturm noch andauert, aber ich rede mir gerne ein, dass es sich nur noch um Sekunden handelt.

Als Freedoms Körper vollends nachgibt und schlaff wird, steigt meine Panik ins Unermessliche. Schnell prüfe ich, ob sie noch atmet, und mein Herz macht einen Satz. Er ist zwar nur noch schwach, aber ihr Herzschlag ist noch vorhanden. Ohne  groß nachzudenken führe ich - so gut wie es angekettet eben geht - eine Mund-zu-Mund-Beatmung durch, einzig und allein mit dem Ziel, Freedom am Leben zu erhalten. Ich werde nicht zulassen, dass sie stirbt. Nicht, solange sie noch so jung ist und keine Ahnung hat, was das Leben ihr bieten könnte.

Plötzlich schüttelt sie sich wieder und hustet unkontrolliert. Mit einem zuverlässigen Lächeln auf den Lippen schmiege ich meinen Körper an sie, in der Hoffnung, dass ihr dies zumindest ein wenig Wärme spendet. Währenddessen wird mein Eis wegen dem stetigen Wasserfluss immer dünner und ich kann nur hoffen, dass es das Wasser noch bis zum Ende zurückhalten kann, denn ein stetiges, schmerzhaftes Hämmern meldet sich in meinem Kopf und signalisiert mir, dass ich schon zu viel Eis eingesetzt habe.


Burning IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt