[Ihre Worte kurbeln die Wut in mir an, aber leider nicht stark genug, als dass mein Eis zuschlagen würde. Abgesehen davon könnte ich mich schlapp lachen. Ice, du hast Recht gehabt. Der Geist der meisten Männer auf der Welt ist nicht stark genug, als dass sie sich mir furchtlos entgegen stellen könnten. Denn der Blick der Matrosen gleitet nervös immer wieder zu meinen Augen, in denen sich der Sturm abzeichnen wird, bevor er sich außerhalb bemerkbar macht...]
Unbeeindruckt von meiner eigentlich unterlegenen Position am Boden starre ich dem Matrosen tief in die Augen, der das kleine Mädchen festhält, und sich mit zornesrotem Gesicht aufrappelt. Keine der Anderen sieht mehr weg. Sie alle beobachten mit schmalen Augen und scharfem Verstand, was geschieht. Es sieht ganz so aus, als hätte ich ihnen ihr Selbstbewusstsein wieder gegeben.
Im Vergleich zu den Bewohnern Lunas sind die Bewohner Sols eher klein und rundlich. Ich bin schlank und hochgewachsen - nichts seltenes in Luna, aber wohl ehrfurchteinflößend in Sol. Obwohl ich am Boden sitze.
Mit einem missmutigen Schnauben packt er mein Handgelenk und schnallt die Fesseln an meinen Handgelenken ab. Zwar kenne ich den wahren Namen des Mädchens nicht, aber sie erhält von mir von nun an den Spitznamen Freedom - Freiheit. Als Zeichen dafür, dass wir dasselbe Ziel verfolgen. Als Zeichen dafür, dass ich nicht länger tatenlos zusehen werde, wie andere Angehörige meines Geschlechts unterdrückt und misshandelt werden. Schon gar nicht Mädchen, die noch minderjährig sind und noch nicht einmal ihre Periode haben.
Nun, da ich nicht länger an mein Land gebunden war, konnte ich tun was ich wollte und niemand könnte mich aufhalten. Es bräuchte schon einen Feuergeborenen um einem Eisgeborenen Einhalt zu gebieten - und die sind noch seltener als die Eisgeborenen, da es mit der Bevölkerung Sols langsam aber sicher den Bach runter geht. Laut Vaters Spionen, die Ice heimlich belauscht hat, und von denen er mir danach immer erzählt hat, führen die Bürger des Feindeslands ein Leben in Saus und Braus, mit Festen, Alkohol und Festmählern. Viele gehen daran zugrunde, da ihre Lebenszeit sich durch die Substanzen, die die Hände wechseln, enorm verkürzen und Frauen werden weit freizügiger gehandhabt als sonst wo. Genau aus diesem Grund gibt es bei uns so etwas nicht. Einen gewissen Wert scheint die Jungfräulichkeit aber wohl doch zu besitzen, da die Matrosen auf diesem Schiff so sehr darauf achten.
Ice, diese Menschen sind auf Sklaven angewiesen. Zwar kann ich es nicht unterstützen, sich wie Vater niemals einen Moment der Gelöstheit zu genehmigen, aber es kann auch nicht richtig sein, sich auf den Schwarzmarkt zu verlassen. Zumal keine von uns freiwillig hier ist, sondern verkauft wurde.
Ich kriege kaum mit, wie der Matrose uns durch die schmalen Flure zerrt, bei denen wir hintereinander gehen müssen, und wie seine beiden Freunde hinter uns kichern und tuscheln nehme ich auch nur halb wahr. Freedom, die vor mir geht und sich immer wieder nach mir umdreht, sieht verängstigt aus; das ist mein größtes Problem momentan. Menschen, die Angst haben, brechen schnell. Und Freedom darf nicht zerbrechen.
Aufmunternd lächle ich ihr zu und drücke ihre Schulter sanft. Ich werde schon dafür sorgen, dass ich die gesamte Härte der Strafe abfange und Freedom nichts abbekommt. Das versuche ich ihr auch mit einem warmen Blick mitzuteilen, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich versteht. Sie scheint auf jeden Fall ruhiger. Und sie hat aufgehört zu weinen. Das ist immerhin ein Fortschritt.
"Eigentlich hatte ich vor, euch wie üblich nackt auszupeitschen", der Mann zieht die Worte absichtlich widerlich in die Länge, während er mit einem Blick über die Schulter lüstern unsere Körper wandern lässt und mir wird unwillkürlich schlecht, "und ihr könnt euch wohl gut vorstellen, was ich stattdessen am Liebsten tun würde, aber der Chef hat mir verboten, unser Goldstück hier zu misshandeln." Er spuckt mir vor die Füße. "Daher werdet ihr draußen an die Reling gekettet und ein, zwei Tage dort verbringen. Es braut sich ein Sturm zusammen", fügte er wieder mit einem Grinsen hinzu.
Freedom klammert sich regelrecht an mich, obwohl sie vor mir geht, und irgendwie muss ich schmunzeln. Sie erinnert mich an Ann-
Sofort verbiete ich mir weiter zu denken und sperre den Namen in den Abgrund zurück, aus dem er gekrochen ist. Das ist verbotenes Gebiet. Ich habe mir geschworen, nicht an sie zu denken, Ice. Nie wieder. Denn sonst weine ich.
Und auch weinen habe ich mir verboten. Ich darf keine einzige Sekunde Schwäche zeigen. Genauso wie früher, nicht wahr, Ice? Nur konnte ich mich da heimlich bei dir ausweinen. Jetzt bin ich alleine und niemand wird mich in den Arm nehmen, wird mein Gesicht bedecken und die Geräusche ersticken, sodass keiner jemals erfährt, wie es in mir aussieht. Ich muss die Maske perfektionieren.
Während ich in Gedanken versunken bin, kettet der Matrose uns nebeneinander an. Freedom ist immer noch nackt von der vergangenen Nacht, und auch meine Kleidung hat man mir abgenommen. Sadisten, allesamt. Die Handschellen, mit denen wir an der verrosteten Eisenstange angekettet sind, sind absichtlich locker um unsere Handgelenke gelegt worden, sodass wir herumrutschen können und das Schwanken des Schiffs erst Recht mitbekommen. Es soll uns Angst machen. Pah. Nicht mit mir.
So nah wie möglich rutsche ich an Freedom heran und sie drückt zitternd ihren Körper an meinen, obwohl ich vermutlich nicht viel Wärmer bin als die Umgebung. Eisgeborene sind von Natur aus kühler. Sowohl körperlich als auch emotional.
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Burning Ice
Fantasía↬Wenn Feuer und Eis einander begegnen...↫ ...Wie ein Kaninchen drängt er mich rückwärts an die Wand. Er hält meine Handgelenke über meinem Kopf fest und nagelt mich förmlich an Ort und Stelle. "Nie wieder", knurrt er. In seinen Augen leuchtet die Wu...