Einundzwanzig

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[Unwillkürlich ist mir dieser Adelige unsympathisch. Er betrachtet Frauen nicht als gleichgestellte Wesen, sondern als Objekte der Zierde. Mistkerl...]

Mit einem halbherzigen Lächeln erhebt sich Lucien plötzlich. "Wenn ihr mich für einen Moment entschuldigen würdet, Herrschaften...", murmelt er. Es wirkt so, als würde er höflich zu verstehen geben wollen, dass er auf die Toilette muss, aber sein kaum verhohlenes Grinsen, seine funkelnden Augen und dieses vermaledeite Zwinkern, das er mir erneut zuwirft, sprechen da eine andere Sprache.

Er will absichtlich, dass ich ohne ihn an diesem Tisch sitzen und die Gespräche ertragen muss. Kluger Schachzug - ich kann mich nicht einfach ebenfalls verabschieden, da sonst unschickliche Gerüchte entstehen würden. Und so freundlich Lucien auch erscheint - ich denke nicht, dass er Späße gemacht hat, als er mich aufgefordert hat, ihn nicht zu blamieren. Wenn ich ehrlich bin, ziehe ich es vor, in seiner Gunst zu stehen, solange ich mich hier aufhalte. Ich habe genug von Strafen, Folter und Isolation.

Kaum hat er den Raum verlassen, steht auch sein Vater auf und erklärt, er würde zu Bett gehen. Hat Lucien das ebenfalls eingefädelt oder handelt der König aus eigenem Interesse? Ich beiße die Zähne zusammen. Auf jeden Fall hat sich meine Lage in diesem Abendessen gerade um einiges verschlechtert - wenn die Autoritätsperson weg ist, verwandelt sich so eine Veranstaltung normalerweise sehr schnell in einen Chaoshaufen.

Der Wandel der Atmosphäre ist erstaunlich. Ein Adeliger steht auf und tappst zur Tür, späht in den Flur und pfeift dann leise. Wie auf Kommando tänzeln einige leicht bekleidete Frauen in das Zimmer hinein und werfen den Herren verführerische Blicke zu. Mir wird übel.

Es dauert tatsächlich nicht lange, bis beinahe jeder der Adeligen eine Frau auf dem Schoß hat und seine Hände an deren Kleidung entlang gleiten lässt. Irgendjemand hat leise, orientalische Musik angestellt. Wenn ich so den Fortschritt dieser Kultur beobachte, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Vieles scheint noch nach den alten Traditionen zu laufen, aber es gibt auch einige Neuerungen - Uhren und elektronische Geräte zum Beispiel. Zwar gibt es sie nicht in Luna, aber genügend Menschen haben darüber getuschelt, wie es auf ferneren Kontinenten zugeht. Und Ice hat mir, wann immer er etwas neues in Erfahrung gebracht hat, als Erstes davon erzählt.

Mein einziger Wunsch gerade ist, irgendwie unauffällig aus diesem Zimmer zu verschwinden. Alkohol und andere Substanzen wechseln die Hände und verpesten die Luft in dem Speisesaal. Wenig später ist gut die Hälfte der Adeligen betrunken. Der Mann neben mir - der, den ich nicht leiden kann - ist einer der Ersten und das lässt ihn in meinen Augen nur noch tiefer sinken. Zeitgleich gebe ich mein Bestes, nur Augen für meinen Teller zu haben und den Rest aus dem Augenwinkel zu beobachten.

Plötzlich dreht er sich zu mir um und seine Fahne schlägt mir entgegen. Ich unterdrücke ein Würgen und es wird nur noch schlimmer, als er den Mund aufmacht. "Ey Kleine", lallt er und verschluckt dabei das H am Anfang. Mein Magen zieht sich zusammen. Grob schmeißt er die Frau von seinem Schoß herunter und dreht sich mir ganz zu. Dabei ist es ihm egal, dass sie mit einem leisen Schmerzensschrei hart auf dem Boden aufkommt.

Träge grinst er mich an. "Machschs dir ja nischt zu gemütlisch, hörste? Du magscht zwar die Verlobte des Prinschen schein, aber das schützt disch noch lange nischt vor unsch. Wem würde der Prinsch wohl eher vertrauen - scheiner dahergelaufenen Freundin oder scheinem jahrelangen Gefolge?" Mit einem Arm lehnt er sich gegen die Stuhllehne meines Stuhls, den Anderen streckt er in meine Richtung aus und mein Herz macht einen Satz. Ich höre den Sturm in meinen Ohren, spüre das Eis in meinen Adern...

Burning IceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt