Tief hole ich Luft - atmen, atmen, atmen, rufe ich mir in den Sinn.
Die Dunkelheit lichtet sich langsam, mein Geist kehrt in meinen Körper zurück. Atmen.
Ich spüre meinen Körper wieder. Ich bin an Händen und Füßen mit Lapislazuli gefesselt, ein unbarmherziges Halsband ist um meinen Hals geschlungen und drückt mir die Luft ab. Ich kann nur gerade so genug atmen, dass ich bei Bewusstsein bleibe.
Die Wände des Raums um mich herum bestehen aus Stein, getrocknetes Blut klebt an einigen davon. Im Zimmer ist es stickig und schwül, die Temperaturen sind ziemlich hoch, was es noch qualvoller für mich macht - denn meine Macht besteht aus dem Eis, aus der Kälte.
Aus dem Augenwinkel sehe ich eine Regung - ein Soldat klopft zweimal gegen eine Tür und ein anderer tritt ein, gefolgt von... Mir wird schwindelig und ich werde mir stark bewusst, dass ich Erbrochenes an meiner Kleidung habe.
Es ist der König, Luciens Vater. Mit einem grimmigen Lächeln streichelt er über seinen gewölbten, sattgefressenen Bauch und starrt jeden Zentimeter von mir ungehörig lange an. "Du hältst dich recht wacker, Schlange", murmelt er, in seiner Stimme so etwas wie Achtung. Pah. Die brauche ich nicht, schon gar nicht von ihm. "Aber wir werden dich schon noch zum Sprechen bringen."
Mein Magen krampft sich zusammen, seine Worte sind wie eine eiserne Faust, die auf mich einprügelt. "Bringt sie herein." Seine Stimme schneidet durch den Raum, die Soldaten gehorchen ausdruckslos, als wären sie Marionetten, als besäßen sie keinen eigenen Willen. Da begreife ich: Er hat sie gebrochen. Er hat ihnen das genommen, was ihnen am Wichtigsten ist - ihnen allen. All denjenigen, mit denen ich Gespräche geführt habe, all denjenigen, die mir zugelächelt haben.
Cheri. Sie hatte auch keine Wahl, als man sie deinetwegen geholt hat, egal, wie viel sie gebettelt hat.
Meine Tochter ist eine Elementgeborene. Cheri - oh Cheri.Ein Mädchen wird an denselben Ketten hereingeschleift, wie man es bei mir getan haben muss. Ihre Züge sehen weiblich und exotisch aus, ihre Haut ist dunkel, ihre Haare feuerrot, ihre Augen pechschwarz... Ich erstarre innerlich. Sie sieht genauso aus wie du, Cheri - genauso, bis auf die Haare, die ihre Macht verraten. Sie ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten - deine Tochter.
Mit wachsendem Entsetzen beobachte ich, wie man sie an der Wand mir gegenüber ankettet. Sie zuckt mit keiner Wimper, sondern starrt mich an, ihr Mund zu einem Oh geformt.
"Snow", schnurrt der König und mir wird schlecht, "es gibt nur eine einzige Sache, die ich von dir will."
Einer der Soldaten nimmt eine Klinge in die Hand und geht damit auf das Mädchen los. Ich zerre an meinen Ketten, trotz des Schmerzes, der mich durchfährt, beiße die Zähne zusammen und fluche lautlos.
Ich muss ihr doch irgendwie... Ich kann doch nicht einfach... Sie ist doch noch so...
Der Schock und die plötzliche Bedrohung lassen meine Gedanken zu einem einzigen Knoten werden, den zu entwirren ich mich gerade nicht in der Lage sehe, da ich damit beschäftigt bin, fauchend an meinen Ketten zu zerren. Sollen sie doch sehen, wie sehr mich diese Lage aufwühlt! Ich kann gerade einfach nicht so tun, als wäre mir das alles hier egal!
Der Soldat drückt die Klinge in ihre Haut und hinterlässt einen glatten Schnitt an ihrem Unterarm. Sie schreit erschrocken auf, die Augen geweitet. Da erkenne ich es und meine Wut dem König gegenüber steigt ins Unermessliche. Sie starrt nicht mich an. Sie starrt hinter mich - in die Leere. Sie ist blind. Man hat sie geblendet.
Wutentbrannt reiße ich noch stärker an meinen Ketten, wie wild getrieben von ihren Schreien und Tränen. Meine Macht will ausbrechen, will retten, will schützen, aber sie kann nicht, wird erstickt von dem Lapislazuli. Ein düsteres, bedrohliches Knurren entsteigt den Tiefen meiner Kehle, während ich den König mit Blicken erdolche und die Tränen der Verzweiflung mühsam zurückhalte. Oh, ich werde ihn dafür leiden lassen. Ich werde ihm das alles doppelt und dreifach heimzahlen!
"Nur eine Sache, Snow", übertönt der König gelassen die Schreie des Mädchens, als wäre es morgendliches Vogelgezwitscher. Als würde er nicht gerade mit ihrem Leben spielen, da sie jederzeit verbluten könnte, während er einen Plausch halten will. "Ich will Eis sehen - reines Eis."
Ich brauche einen Moment, um seine Worte zu verstehen, um zu begreifen, dass er nicht meinen Zwilling meint, sondern meine Macht. "Dann nehmt mir diese verdammten Ketten ab", schäume ich und funkle ihn bitterböse an.
Er schüttelt nur den Kopf. "Es geht auch mit ihnen", antwortet er lässig und deutet zum Mädchen. Flammen schießen aus ihr hervor, versengen den Soldaten, der sich nicht regt. Sie ist von Kopf bis Fuß mit Lapislazuli bedeckt, aber sie nutzt dennoch ihre Macht. Ich habe noch nie so etwas gesehen. Ich habe keine Ahnung, wie das möglich ist.
Die Rüstung des Soldaten schmilzt und versengt ihn, aber noch immer gibt er keinen Laut von sich, obwohl sein Körper zuckt. Ich lasse wachsam meinen Blick über ihn gleiten und erkenne, dass seine Füße am Boden festgeschmolzen sind. Aber er schreit nicht - denn man hat ihm die Zunge herausgeschnitten. Sein Körper ist bedeckt von Narben. Man hat ihn gefoltert.
Kennt dieser Mann, der sich König nennt, überhaupt Grenzen? Wenn er als König schon derart versagt - wie schrecklich muss er dann erst als Vater sein? Lucien tut mir...
Ein Bild blitzt vor meinem inneren Auge auf - ein muskelbepackter Mann mit schneeweißen Haaren, der sabbernd darauf wartet, dass ich zusammenbreche, dass ich winsele, dass ich bettele, dass ich mir den Tod wünsche.
Ich schüttelte den Kopf, schüttele die Erinnerung ab. Vergiss Lucien - er ist es doch, dem ich das alles hier erst verdanke! Aber auch damit kann ich mich gerade nicht beschäftigen. Ich brauche einen ruhigen Moment zum Nachdenken. Dringend.
Noch immer reiße ich an meinen Ketten, und fühle mich dir dabei seltsam nah, Ice. Du hast auch immer versucht, auszubrechen, um mich zu retten, aber du hast es nie geschafft.
"Dieses Mädchen", schluchze ich mittlerweile, aus meinen Augen treten Tränen des Hasses, denn ich kann einfach nicht mehr, "könnte genauso gut Euer Sohn sein!", brülle ich ihm entgegen.
Ich weiß auch nicht, was ich erwartet habe. Einsicht, Gnade vielleicht. Aber ganz sicher nicht das spöttische Grinsen des Königs. "Dieser Narr hat bereits bekommen, was er verdient."
Daraufhin bin ich sprachlos. Ich starre ihn mit offenem Mund an. Er schmunzelt. "Wärst du doch nur als Gemeine geboren worden", murmelt er vor sich hin und lässt seinen Blick erneut über mich schweifen, über meine halbnackte Gestalt, ein Ausdruck von Hunger und Gier glänzt in seinen Augen und ich kann nicht mehr. Ich übergebe mich geradewegs nach vorne, treffe dabei mich selbst - aber viel Wichtiger: auch den König. Mit Genugtuung beobachte ich, wie er mich aus schmalen Schlitzen anfunkelt. Das ist das Mindeste von dem, was er verdient hat!
Ich spucke ihm vor die Füße, unfähig, nachzudenken oder mich im Zaum zu halten. Im Zimmer stinkt es nach verbranntem Fleisch, der Soldat ist mittlerweile nur noch ein Haufen verkohlte Asche in Form eines Menschen. Die Flammen erlöschen, das Mädchen bricht keuchend zusammen und kotzt sich genauso die Seele aus dem Leib. Dabei trifft sie ohne es zu wissen ebenfalls den König - genauer gesagt seine Rückseite.
Mit einem diabolischen, schadenfrohem Grinsen beobachte ich, wie dieser sich ein letztes Stück Würde bewahrt, indem er kerzengerade aus dem Raum stolziert, dem Soldaten vor der Tür etwas zuzischt und diese dann hinter sich zuschlägt.
Danach folgen noch unzählige Stunden, in denen ich zusehen muss, wie man das Mädchen immer weiter foltert - und egal, wie groß meine Schadenfreude über den kurzen Triumpf gewesen sein mochte: Das Hochgefühl, das ich verspürt habe, ist in dem Moment erloschen, in dem die Tür sich schloss.

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Burning Ice
Fantastik↬Wenn Feuer und Eis einander begegnen...↫ ...Wie ein Kaninchen drängt er mich rückwärts an die Wand. Er hält meine Handgelenke über meinem Kopf fest und nagelt mich förmlich an Ort und Stelle. "Nie wieder", knurrt er. In seinen Augen leuchtet die Wu...