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Da war jemand!

Ich spürte es, noch bevor ich die Augen aufschlug. Jemand war bei mir im Zimmer.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich zu dem Menschen, der auf dem Stuhl saß, auf dem vorhin die Frau gesessen hatte. War es die gleiche? Oder eine andere? Sie sahen alle so ähnlich aus! Aber... die Haare waren anders. Vorhin waren sie braun gewesen, jetzt waren sie hell – so wie meine.

Wie lange war sie schon hier? Scheiße, ich hatte geschlafen! Wieder war es mir nicht möglich gewesen, gehorsam zu sein. Ausnahmsweise wusste ich sogar sofort, wo ich war und was passiert war. Ich war bei diesen Menschen, die mich mitgenommen und eingesperrt hatten. Sie hatten sehr komische Dinge mit mir gemacht, die mir schreckliche Angst machten. Nun war einer von ihnen bei mir und ich hatte es nicht mitbekommen, weil ich geschlafen hatte. War der Mensch jetzt wütend? Aber letztes Mal hatte ich auch schon alles falsch gemacht – und es war nichts passiert. Vielleicht kam die Strafe auch erst jetzt? Und ich hatte alles noch viel schlimmer gemacht, weil ich wieder alles falsch gemacht hatte!

Ich war schrecklich verzweifelt, denn ich wusste nicht, welche Regeln die Frau hatte, die nun in meinem Zimmer war. Vaters Regeln waren das letzte Mal falsch gewesen. Aber ich kannte nur seine.

„Hey du", bewegte die Frau plötzlich ihren Mund, während mein Herz schlug wie verrückt. „Du musst keine Angst haben, es ist alles gut."

Ich atmete stockend, denn ganz egal, was sie sagte, ich hatte Angst. Aber diese Stimme – sie kam mir bekannt vor. Woher kannte ich sie? Meine Gedanken rasten von einer Stimme zur nächsten. Ich hatte noch nicht so viele verschiedene gehört, seit ich nicht mehr in meinem Zimmer war.

„Es ist alles gut. Hier wird dir nichts passieren."

Und da fiel es mir wieder ein. Das war die Frau, die zu mir gekommen war, als ich gefallen war! Es war die Frau, die meine Fesseln durchgeschnitten hatte. Mit einem Messer. Aber sie hatte das Messer nicht benutzt, um mir wehzutun. Warum nicht?

Plötzlich hörte ich noch etwas anderes. Eine Bewegung und einen Atem. Es war kaum zu hören, aber ich hörte alles! Panisch riss ich meinen Kopf zur anderen Seite. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Da war noch eine andere Frau! Sie waren zu zweit hier! Wollten sie mich nun dafür bestrafen, dass ich vorhin etwas falsch gemacht hatte?

„Hey, keine Angst. Frau Schneider hat recht, es ist alles okay. Wir sind nur hier, um ein bisschen mit dir zu sprechen."

Die Stimme kannte ich nicht. Ich hatte sie noch nie zuvor gehört. Unwillkürlich rutschte ich in meinem Bett in die andere Richtung, näher auf die Frau zu, deren Stimme ich kannte. Sie hatte mir nicht wehgetan. Sie war der einzige Mensch, der mir bisher nicht wehgetan oder irgendwelche komischen Dinge mit mir gemacht hatte, die ich nicht verstand.

Mein Herz raste, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Warum waren die beiden Frauen hier? Warum wollten sie mit mir sprechen? Ich durfte nicht mit ihnen sprechen, sonst würde Vater meinen Mund zukleben!

Du musst dich trotzdem beruhigen. Versuche es.

Doch ich wusste nicht, wie ich das schaffen sollte.

„Wir sind nicht hier, um dir wehzutun", sprach die fremde Frau nun wieder, während mein Körper sich vor Angst versteifte. „Dir wird nichts passieren, das verspreche ich dir. Ich bin übrigens Dr. Frank. Magst du mir auch deinen Namen verraten?"

Mein steifer Körper begann zu zittern. Meinen Namen? Sie kannten doch einen meiner Namen. Sie wussten, dass ich Kleine hieß. Das hatte ich schon ein paar Mal gehört. Die anderen Namen noch nicht so oft oder gar nicht, aber ich war ja auch noch nicht so lange hier.

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt