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Voller Entsetzen riss ich die Augen auf. Ich hatte geschlafen! Wann war ich denn eingeschlafen? Stundenlang war ich wach gelegen. Julia war irgendwann gegangen und jemand anderes war in mein Zimmer gekommen. Das hatte mir noch mehr Angst gemacht, denn diese andere Frau hatte ich nicht gekannt. Dadurch hatte ich noch weniger einschlafen können. Doch irgendwann musste die Erschöpfung gesiegt haben.

Panik stieg in mir auf. Mein Blick schnellte zu der großen gelben Lampe, die hell strahlte. Es war bereits Tag!

Das Training! Du musst sofort aufstehen und dein Training machen!

Ich hörte bereits Lillys Stimme in meinem Kopf, wie sie mir erklärte, dass ich viel zu langsam war. Dass ich zu langsam war und Vater mich bestrafen würde. Und sie hatte Recht! Ungeschickt versuchte ich mich aus meiner Decke zu befreien. Ich war in Panik, war viel zu langsam. Vater würde heute kommen! Ich musste ihn zufrieden stellen. Musste mich an meine Regeln halten. Musste alles richtig machen.

„Emily, Stopp!", hörte ich plötzlich eine Stimme von links und sah erschrocken ein zweites Mal zu der gelben Lampe.

Julia! Sie saß wieder auf dem Stuhl. Vorhin hatte ich sie gar nicht wahrgenommen. Wirr schüttelte ich den Kopf, um ihr zu zeigen, dass ich nicht aufhören durfte. Ich musste meine Übungen machen! Mühsam schob ich mich an das Fußende meines Bettes, um aufzustehen.

„Emily, bleib bitte liegen. Du musst heute keine Übungen machen. Es geht dir nicht gut genug dafür. Wenn du die Übungen machst, wird sich dein Zustand verschlechtern."

Ich schüttelte weiter meinen Kopf, obwohl sich alles um mich herum zu drehen begann. Ich musste aufstehen! Ich musste Vater beweisen, dass ich ein gehorsames Mädchen war.

„Emily, bitte!", wiederholte Julia mit Nachdruck und kam gefährlich auf mich zu. Doch ihre Regeln galten nicht. Sie galten nicht! Auch wenn sie mich bestrafen würde, ich musste mich an Vaters Regeln halten. Seine Regeln waren Gesetz.

Zitternd schob ich meine Beine über die Bettkante. Mir war schwindelig und speiübel. Ich war gerade erst aufgewacht, mein Körper war noch nicht in der Verfassung für diese Anstrengung. Aber das spielte keine Rolle. Ich musste es trotzdem tun.

„Emily, du wirst zusammenbrechen. Du schaffst es nicht, deine Übungen zu machen. Bitte bleib liegen. Sonst muss ich noch näher kommen. Ich kann nicht zulassen, dass du aufstehst."

Voller Panik sah ich sie an.

Bitte geh einfach weg! Ich muss das machen!

Doch das tat sie nicht. Sie sah mich mit einem Flehen in den Augen an und deutete mit einem kleinen Schritt an, mir näherzukommen. Mit Tränen in den Augen schüttelte ich den Kopf.

Bitte, ich muss das machen!

Verzweifelt setzte ich mich auf, um mich langsam vom Bett zu schieben.

„Emily, nein!", hörte ich Julias Ruf, der sich ähnlich verzweifelt anhörte, wie ich mich fühlte. Aber ich konnte nicht auf sie hören. Vaters Regeln waren Gesetz. Erfüllt von Schwindel schob ich meinen Hintern über die Bettkante. Doch noch bevor meine Füße den Boden erreichten, stand Julia plötzlich vor mir.

„Emily, du musst das nicht machen", meinte sie und ich erkannte wieder das Flehen in ihrem Blick. „Niemand wird dich dafür bestrafen, wenn du es nicht tust. Denk doch mal nach. Du bist viel zu schwach. Du würdest es ohnehin nicht schaffen. Und die Ärzte verbieten es dir. Emily, du wurdest am Gehirn operiert. Du hast schwere Verletzungen. Du bist unterernährt. Du stehst unter hohem Medikamenteneinfluss. Du kannst jetzt nicht aufstehen und Liegestützen machen. Das geht einfach nicht."

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt