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Gebannt starrte ich in Richtung Tür. Die Finger meiner rechten Hand krallten sich um Lillys Körper.

Zuerst sah ich den Rollstuhl, dann die Frau, die ihn schob. Mein Herz schlug höher. Wer war sie? Ich hatte sie noch nie gesehen, ich kannte sie nicht!

Unruhig rutschte ich in meinem Bett von ihr weg. Warum hatte sie den Rollstuhl dabei? Was wollte sie von mir? Der Rollstuhl bedeutete, dass ich zur Toilette sollte oder raus aus meinem Zimmer. Was von beidem wollte sie?

Der Gesichtsausdruck der Frau sah beängstigend aus. Mit großen Augen starrte sie mich an, ihr Kopf war ganz rot angelaufen und sie atmete unruhig.

Da erkannte ich das Handy in ihrer Hand. Telefonierte sie mit jemandem?

„J... ja, ich bin jetzt bei ihr", hörte ich ihre Stimme, die rau und ängstlich klang. Warum hatte sie Angst? Hatte sie Angst vor mir? Dabei hatte ich doch Angst vor ihr!

„Okay, ich... ich geb sie Ihnen."

Als die Frau näher auf mich zukam, spannte sich mein ganzer Körper an und ich versuchte, noch weiter von ihr wegzurücken. Was wollte sie nur von mir? Ich verstand das nicht. Wenn andere Menschen zu mir kamen, sprachen sie mit mir und erklärten, warum sie hier waren. Meistens waren es Krankenschwestern und die Frau hatte dieselbe Kleidung an. War sie auch eine Krankenschwester? Ich wusste es nicht, weil sie sich nicht vorgestellt hatte und es beunruhigte mich, dass sie nicht mit mir sprach. Doch dann öffnete sie wieder ihren Mund und wandte sich direkt mir zu. Mein Herzschlag schnellte in die Höhe.

„Das... ist für dich", hauchte sie und streckte mir das Handy entgegen. Ihre Finger zitterten.

Überfordert starrte ich sie an. Wollte sie mir wirklich ein Handy geben? Ich hatte noch nie eines in der Hand gehabt, das war nichts für kleine, dumme Kinder.

„Ich darf das nicht nehmen", erklärte ich verunsichert. „Das ist verboten."

Die Frau sah sehr mitgenommen aus. War sie krank? Ich verstand das alles nicht.

„Doch, du... du darfst das nehmen. Bitte, nimm es."

Das war ein Befehl gewesen! Ich hatte keine andere Wahl, als das Handy zu nehmen. Gegen einen Befehl durfte ich mich nicht widersetzen.

Vorsichtig schälte ich meine rechte Hand unter der Bettdecke hervor. Auch meine Finger zitterten, als ich sie der Frau entgegenstreckte. Was sollte ich denn mit dem Handy machen?

Ich zuckte zusammen, als sie es mir in die Hand legte.

„Und... und was mach ich jetzt?", fragte ich, während meine Brust sich zusammenzog.

Plötzlich schluchzte die Frau und Tränen traten in ihre Augen. Entsetzt sah ich sie an. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich hatte sie wütend oder traurig gemacht! Was war nur mein Fehler gewesen?

„Es tut mir leid, es tut mir so leid!", schluchzte sie und strich sich mit dem Ärmel übers Gesicht, um ihre Tränen wegzuwischen. „Ich wollte das nicht, das musst du mir glauben. Ich wollte das wirklich nicht! Aber er hat meine Tochter, ich habe keine andere Wahl. Das verstehst du doch, oder?"

Verwirrt schüttelte ich den Kopf, ich verstand überhaupt nichts.

„Nein", warf ich sicherheitshalber hinterher. „Ich verstehe nicht, was du sagst." Meine Stimme war dünn, sie zeugte von meiner Unsicherheit.

Noch einmal schluchzte die Frau, als ich plötzlich etwas aus dem Handy hörte. Es war eine Stimme, sehr gedämpft. Ich zuckte schrecklich zusammen und starrte auf das schwarze Ding in meiner Hand.

„Du... du musst es dir ans Ohr halten", erklärte die Frau, während sie mich immer noch mit diesem schrecklichen Blick ansah, den ich nicht genau verstand.

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt