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Hier kommt mein kleines - um einen Tag verspätetes - Nikolausgeschenk für euch :-)
Ich wünsche euch ganz viel Spaß beim Lesen! <3


Ganz liebe Grüße <3
Eure Mary-Ann

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Sarah war zu mir aufs Bett geklettert und hatte es sich an meinen Füßen im Schneidersitz gemütlich gemacht. Dr. Frank war auch hier, aber sie saß bei der gelben Lampe – Fenster – auf einem Stuhl und hatte irgendein Buch und einen Stift in der Hand. Vielleicht wollte sie ein Bild malen, solange Sarah und ich ein bisschen redeten. Dr. Frank hatte gemeint, wir sollten sie gar nicht beachten, obwohl ich nicht wusste, wie das gehen sollte. Sobald ein anderer Mensch in meiner Nähe war, konnte ich auf überhaupt nichts anderes mehr achten. Trotzdem versuchte ich mein Bestes, denn das war das, was die Frau wollte. Deshalb zwang ich meine Gedanken, sich ganz alleine auf Sarah zu konzentrieren, die aufgeregt vor mir saß.

„Du darfst mich alles fragen, was du willst", verkündete sie strahlend. Julia hatte ihr erklärt, worum es ging. Doch ich war vollkommen überfordert. Wo sollte ich denn anfangen?

„Hat... bestraft Vater dich, wenn du etwas falsch machst?"

Es war meine wichtigste Frage, also hatte ich entschieden, damit anzufangen. Sarah sah ein wenig verwirrt aus.

„Meinst du, ob er schimpft?"

„Naja, auch. Aber tut er dir auch weh?"

Meine Stimme klang dünn, ich fühlte mich immer noch nicht wohl dabei, anderen Menschen Fragen zu stellen.

„Warum sollte Papa mir wehtun?", fragte Sarah verwundert.

„Wenn du etwas falsch gemacht hast. Kinder müssen gehorsam sein und die Konsequenzen dafür tragen, wenn sie das nicht sind. Dann werden sie bestraft."

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Dr. Frank einen Moment den Kopf hob, was mich unwillkürlich zusammenzucken ließ. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Doch sie konzentrierte sich schnell wieder auf ihr Buch und malte irgendetwas hinein.

„Aber Papa tut mir doch nicht weh. Er schimpft nur manchmal. Weißt du, an manchen Tagen will ich zum Beispiel nicht so gern ins Bett gehen, sondern lieber noch ein bisschen länger spielen. Dann kann es sein, dass Papa kommt und schimpft, wenn er sieht, dass mein Licht noch an ist."

Ich konnte ihr nicht folgen. Wenn sie schlafen sollte, war es doch Nacht. Dann war es dunkel. Wieso war dann bei ihr noch Licht und sie konnte spielen?

„Und Mama schimpft manchmal, wenn ich alle meine Sachen überall im Haus herumliegen lasse. Aber weißt du, dann kann ich überall spielen. Und manchmal vergesse ich das auch einfach und denke nicht daran, aufzuräumen."

Welche Sachen? Dass sie in einem Haus lebten, hatte Sarah mir beim Anschauen der Bilderbücher bereits erklärt. Ich hatte davor gar nicht gewusst, dass es so etwas gab. Alles, was ich kannte, war mein Zimmer. Aber wie viele Sachen hatte Sarah denn, dass sie sie irgendwo herumliegen lassen konnte?

„Verstehst du alles, was ich sage?"

Sarah schien bemerkt zu haben, dass ich ein bisschen überfordert mit ihren Antworten war.

„Ich... frage mich nur, wie es möglich ist, dass es bei dir nachts nicht dunkel ist und dass du so viele Sachen hast, die du herumliegen lassen kannst", erklärte ich ihr, obwohl ich Angst hatte, dass Dr. Frank vielleicht glauben könnte, ich wäre dumm. Aber ich wollte das erfahren. Wie war das möglich?

„Naja, wenn Mama und Papa nach dem Gute-Nacht-Sagen gegangen sind, mach ich einfach das Licht wieder an, dass ich weiterspielen kann. Und dann ist es wieder hell."

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt