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Ich zählte meine rasenden Herzschläge, die viel zu schnell waren.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben –

Plötzlich begann die Frau, immer breiter zu lächeln. Im ersten Augenblick hatte sie fast ein wenig schockiert ausgesehen, was mir panische Angst eingejagt hatte, doch jetzt lächelte sie! Erschrocken hielt ich im Zählen inne. Was bedeutete das?

„Das ist toll! Das ist richtig toll. Das freut mich", sagte sie und sie hörte sich so glücklich an wie Lilly manchmal, wenn sie mich lobte, dass ich alles richtig gemacht hatte. War sie wirklich glücklich? Hatte ich etwas richtig gemacht? Oder freute sie sich nur so sehr, weil sie mich jetzt bestrafen konnte?

Jeden Moment würde sie aufstehen. Sie würde zu mir kommen und mich schlagen. Und ich würde die Strafe annehmen müssen, denn ich hatte gegen eine Regel verstoßen. Oder nicht? Ich hatte doch gar nichts gesagt, ich hatte nur genickt!

Mit ängstlich aufgerissenen Augen und Schweißperlen auf der Stirn sah ich sie an. Ich verstand diese Menschen einfach nicht. Ja, ich verstand ihre Sprache, aber ihr Verhalten war für mich unvorhersehbar, wirr, nicht nachvollziehbar. Nichts, was sie bisher getan hatten, hatte Sinn ergeben. Überhaupt nichts.

„Hey, da musst du nicht so schockiert schauen. Ich freue mich, dass du uns verstehst. Verstehst du denn dann auch, dass du keine Angst haben musst? Dass wir dir nicht wehtun wollen?"

Wieder zwei Fragen! Und wieder das gleiche Problem. Ich war heillos überfordert! Ich wollte die Fragen ja beantworten, weil das die Regel war, aber die Frauen wären wahrscheinlich wütend über meine Antwort. Denn ich glaubte ihnen kein Wort.

„Was sie machen würden, wenn sie dich in die Finger bekommen würden? Oh Süße, du willst ganz sicher nicht, dass das jemals passiert", spukten Vaters Worte durch meinen Kopf. Er hatte mir alles genau erklärt. „Die Menschen da draußen sind Monster. Monster und Lügner. Entweder sie würden dir wehtun, mehr als du dir vorstellen kannst, oder sie würden mit dir reden. Aber glaub mir, das wäre genauso schlimm. Denn sie würden dir das Blaue vom Himmel herunter lügen und dich genau das hören lassen, was du hören musst, um dein Vertrauen zu gewinnen. Und weißt du, was sie dann tun würden? Wenn sie dein Vertrauen gewonnen hätten?"

Ich hatte es eigentlich nicht wissen wollen, aber jetzt war ich froh darum, dass er es mir erzählt hatte, denn heute rettete es mir womöglich das Leben.

„Dann hätten sie dich genau da, wo sie dich haben wollen."

Deshalb durfte ich ihnen nicht vertrauen.

„Dann würden sie beginnen, dich auszuquetschen. Und mit ausquetschen meine ich, sie würden dir Fragen stellen. Fragen über Fragen. Fragen, die du nicht beantworten könntest. Über mich, deinen Beschützer. Sie würden mich finden wollen, denn ich habe dich vor ihnen versteckt, sodass sie dir nicht schaden konnten. Aber du könntest ihnen die Fragen nicht beantworten, dafür habe ich gesorgt. Und das würde sie wütend machen. Sehr wütend."

Dieser Teil machte mir am meisten Angst.

„Sie würden beginnen, dich zu foltern. Dich zu quälen, bis du so kaputt wärst, dass du dir den Tod wünschen würdest. Aber sie würden dich weiter leiden lassen, denn sie würden meinen Namen hören wollen und wissen wollen, wo sie mich finden können."

Vater hatte mich ernst angeschaut.

„Den Menschen da draußen kannst du nicht trauen, Kleine. Was auch immer sie sagen würden, du kannst mir glauben, sie würden das Gegenteil meinen. Sie lügen wie gedruckt. Sie würden dich in Sicherheit wiegen wollen, bis du darauf hereinfällst. Und das wäre dein Tod."

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt