16 ✔️

1.1K 90 110
                                    

Triggerwarnung:
In diesem Kapitel kommt selbstverletzendes Verhalten vor. Wer damit Probleme hat, achtet bitte auf die *. Mit diesen Sternchen habe ich Anfang und Ende der Beschreibung gekennzeichnet. So könnt ihr diesen Teil überspringen, falls euch das Thema Schwierigkeiten bereitet.

Liebe Grüße <3
Mary-Ann

------------------------------------

Sie hatten mich berührt. Frau Dr. Sailer hatte etwas an meinem Kopf gemacht, während ich wie erstarrt im Bett gelegen und mir vor Angst beinahe in die Hose gemacht hatte.

Ich musste schon sehr lange dringend aufs Klo, aber in diesem Zimmer gab es keine Toilette. Deshalb konnte ich nicht gehen.

Nach Dr. Sailer war noch eine andere Frau da gewesen und hatte einige größere und kleinere Pflaster an meinem Körper gewechselt. Wieder war ich vollkommen erstarrt gewesen vor Angst, mein Herz in Aufruhr und mein Atem stockend. Die Frau hatte sich bei jeder Berührung entschuldigt, aber das hatte es nicht besser gemacht. Überhaupt nicht. Es war alles gelogen. Sie warteten nur darauf, dass ich ihnen vertraute.

Kaum war die Frau fertig und hatte mein Zimmer verlassen, kam sie schon wieder zurück und mit ihr die härteste Prüfung des Tages. Sie brachte mir Essen. Essen, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Etwas anderes als Vaters Brei. Ich hätte es fast nicht erkannt, aber es war auf einem Teller und da war auch Besteck dabei. Deshalb vermutete ich sofort, dass es etwas zum Essen war. Die Frau stellte es jedoch nicht auf dem kleinen Tisch in meinem Zimmer ab, sondern auf einen komischen Tisch, den man direkt über mein Bett schieben konnte. Damit machte sie es mir noch schwerer. Denn ich war mir sicher, dass es eine Prüfung war. Ich hatte den ganzen Tag so viele Fehler gemacht, da war es mir sicherlich nicht erlaubt, zu essen.

Vater hatte mich immer wieder auf diese Art und Weise auf die Probe gestellt. Wenn ich ein paar Tage nichts zu essen bekommen hatte, hatte er mir irgendwann einen Teller meines Breis gebracht und erklärt, dass ich ihn nicht anrühren durfte. Wenn ich es bis zum nächsten Tag schaffte, durfte ich ihn essen. Wenn nicht, musste ich weiterhin hungern.

In diesen Nächten hatte ich immer schrecklich schlecht geschlafen. Der Hunger hatte an mir genagt und das Wissen, dass auf meinem Tisch Essen stand, das meinen Hunger hätte stillen können, war unheimlich verlockend gewesen. Manchmal war ich nachts aufgestanden, um an dem Brei zu riechen. Aber ich hatte aus meinem ersten Fehler gelernt. Denn einmal hatte ich es nicht ausgehalten. Der Hunger war zu groß gewesen, mein Magen hatte so sehr geschmerzt, dass ich hätte schreien können. Also war ich zu dem Teller gegangen und hatte ihn leer gegessen.

Das war ein böser Fehler gewesen. Vater hatte mich mit zehn Peitschenhieben dafür bestraft und mir weitere zwei Tage kein Essen gebracht. Danach war ich nie wieder so dumm gewesen. Und deshalb würde ich es auch heute schaffen. Die Frau ermutigte mich sogar dazu, redete mir gut zu, dass ich doch etwas essen solle. Dass ich bestimmt hungrig war. Aber ich blieb stark. Diesem Essen traute ich ohnehin nicht, denn ich wusste nicht, was es war. In Vaters Brei war alles drin, was mein Körper brauchte. Vitamine und Nährstoffe. Vater sagte, dass ich das brauchte. Was war in diesem Essen drin?

Ich wusste es nicht und das machte mir Angst.

Irgendwann gab die Frau auf und verließ stöhnend wieder mein Zimmer. Vermutlich ärgerte sie sich darüber, dass ich die Prüfung bestanden hatte und sie mich nicht dafür bestrafen konnte.

Endlich war ich mit meinem knurrenden Magen alleine. Ich zählte die Sekunden, weil ich befürchtete, dass womöglich doch gleich wieder jemand zu mir kam. Aber irgendwann war ich schon fünf Mal bei hundert angekommen. Hundert war eine große Zahl. Und das schon fünf Mal. Ganz langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder. Ich hoffte, dass ich nun tatsächlich alleine bleiben würde.

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt