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Mein Herz klopfte laut in meiner Brust. Ich hatte Angst, dass auch Vater es hören konnte, obwohl er gesagt hatte, dass er nichts mehr von mir hören wollte. Aber wie sollte ich denn mein Herz leiser machen? Ich wusste nicht, wie das ging!

Verzweifelt dachte ich an die letzten Tage und versuchte herauszufinden, was ich falsch gemacht hatte. Warum mein neuer Vater wohl nicht zufrieden mit mir gewesen war. Leider dauerte es nicht lange, bis ich eine Antwort fand. Es war ganz einfach, denn es war mein Fehler gewesen und insgeheim hatte ich das die ganze Zeit gewusst. Ich hatte alles falsch gemacht!

Es waren die neuen Regeln.

Ich hätte mich nicht an die neuen Regeln halten sollen! Es war doch ein Test gewesen, so wie Lilly gesagt hatte. Sie hatte die ganze Zeit Recht gehabt! Ich hätte auf sie hören sollen. Stattdessen hatte ich den Test nicht bestanden. Ich hatte versagt! Vollkommen versagt! Nun wusste ich auch, warum die Menschen mich nie bestraft hatten. Sie hatten von Anfang an gewusst, dass Vater das tun würde. Dass sie ihm nur sagen mussten, dass sie unzufrieden mit mir waren und er mich holen kommen und bestrafen würde.

Ich hatte versagt. Ich war so ein dummes Kind. So dumm!

Alle Menschen hatten mich angelogen, so wie Vater es vorausgesagt hatte. Sie hatten mich getestet und ich war darauf hereingefallen. Ich hatte mir so sehr gewünscht, dass die neuen Regeln echt waren, weil sie mir so gut gefallen hatten. Aber ich hätte es besser wissen sollen. Ich hätte es wirklich besser wissen sollen. Ich war einfach zu dumm!

Ich war so dumm, dass ich auch das mit Sarah nicht verstand. Kinder durften nicht lügen und sie hatte doch auch gesagt, dass niemand mir wehtun würde. Ich hatte ihr geglaubt. Aber eigentlich hatte sie ja sogar Recht gehabt. Niemand hatte mir wehgetan. Sie hatten darauf gewartet, dass Vater das tun würde.

Trotzdem hatte auch sie behauptet, dass ich durch Türen gehen durfte. Wie war denn das alles möglich? Ich verstand es einfach nicht!

Vater hatte Recht, ich hatte es nicht verdient, am Leben zu sein. Er hatte mir beigebracht, gehorsam zu sein und ich war es nicht gewesen. Ich hatte mich an die falschen Regeln gehalten und musste nun die Konsequenzen dafür tragen.

Julia. Sarah. Mama.

Sie hatten mich doch immer so nett angesehen. Angelächelt. Mich berührt, aber mir nicht wehgetan. Ich hatte... hatte sie gemocht.

Ich war so dumm, zu dumm, um das alles zu verstehen. Ich verstand nicht einmal mehr meine eigenen Gefühle.

Ich wollte Vater gerne fragen, warum mein neuer Vater nicht zufrieden mit mir gewesen war, aber ich durfte nicht sprechen. Er konnte es mir nicht erklären, weil ich nicht fragen durfte. Ich musste wohl einfach einsehen, dass ich zu dumm war und alles falsch gemacht hatte.

Plötzlich veränderte sich etwas. Die unsichtbare Kraft, die meinen Körper in den Sitz gedrückt hatte, wurde schwächer. Sofort klopfte mein Herz noch schneller. Was bedeutete das? Was bedeutete das nur?

Im nächsten Augenblick wurde es plötzlich ganz still.

Das Auto, es machte keine Geräusche mehr!

Ich schluckte. Bangend wartete ich ab, was passierte.

„So, wir sind da, Schlampe."

Ich mochte diesen Namen nicht. Ich mochte ihn überhaupt nicht, denn Vater benutzte ihn immer dann, wenn er böse war. Es bedeutete für mich nie etwas Gutes.

So wie jetzt. Was meinte er mit: „Wir sind da"? Wo waren wir denn? Bei meinem Zimmer?

„Du bleibst sitzen. Ich komme gleich, um dich abzuschnallen und rauszuholen."

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt