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Vater hatte mich geschlagen. So wie immer, wenn ich ihm sagte, dass ich ihn nicht vermisst hatte. Aber ich durfte nicht lügen, das durfte ich nicht. Sonst würde er mich noch viel härter bestrafen.

Das kleine Kind in dem Käfig sah erschrocken aus. Lena. So hatte Vater sie genannt. Sie war noch kleiner als Sarah, so klein wie ich auch einmal gewesen war. Damals, als Vater mich noch in den Käfig gesperrt hatte, wenn ich ungehorsam gewesen war. Manchmal war ich sehr lange in dem Käfig gewesen, so lange, dass mir danach alles wehgetan hatte. Meine Beine, mein Rücken, mein Nacken. Der Käfig war zu klein zum Aufstehen und nach einer Weile war einfach alles nur noch unbequem, weil man sich nie richtig ausstrecken konnte.

Ich war sehr oft in dem Käfig gewesen, denn ich hatte die Regeln am Anfang noch nicht gut verstanden. Aber irgendwann war ich zu groß geworden. Irgendwann hatte ich einfach nicht mehr reingepasst. Dann waren die Fesseln am Bett gekommen.

Lena war noch klein genug für den Käfig. Sie hatte viel mehr Platz darin, als ich es am Ende gehabt hatte. Ich war froh, dass sie dort drin war. Dann würde Vater ihr hoffentlich nicht wehtun. Erst, wenn er sie rausholte.

Trotzdem war ich verwirrt. Warum war sie hier? Ich war immer alleine gewesen, nur Lilly hatte mich besucht. Wer war Lena? Wollte Vater uns beide behalten? Hatten Lilly und ich jetzt jemanden, mit dem wir spielen konnten? Das wäre schön. Aber das Mädchen sah so traurig aus, dass ich nicht wusste, ob sie es auch schön fand.

Hatte Vater sie von einem anderen Vater geholt? War sie auch ungehorsam gewesen und musste nun dafür bestraft werden? Oder wollte Vater sie beschützen, so wie mich?

Ich verstand es wirklich nicht, aber ich traute mich auch nicht zu fragen. Ich wollte Vater nicht verärgern und er würde sich ärgern, wenn ich dumme Fragen stellte.

Mein Kopf tat sehr weh, seit er ihn geschlagen hatte und ich konnte kaum aufrecht stehen. Auch mein Fuß in dem dicken Schuh tat weh. Julia hatte erklärt, dass ich gar nicht so lange darauf stehen sollte. Das war nicht gut. Aber ich hatte keine andere Wahl, Vater wollte es so.

Zitternd sah ich ihn an. Er schmunzelte und genoss meine Unsicherheit. Manchmal ließ er mich lange warten, bis er mir sagte, wie er mich bestrafen wollte. Er wusste, dass ich dann immer mehr und mehr Angst bekam.

„Also gut, du hast jetzt lange genug gewartet", öffnete er schließlich den Mund und ich spürte, wie mein Herz noch schneller schlug. Jetzt würde es passieren. Gleich würde es passieren! Er würde die Fesseln holen und die Peitsche und mich bestrafen. Vielleicht auch das Messer. Womöglich alles, was er hatte! Denn ich hatte gegen viel zu viele Regeln verstoßen. Er musste mich sehr hart bestrafen.

Ängstlich sah ich zu dem Haken an der Decke. Mir wurde übel und ich zitterte noch heftiger. Als ich Vater wieder ansah, schmunzelte er noch immer.

„Du weißt ganz genau, was dir bevorsteht, hab ich Recht?"

Ich nickte. „Du wirst mich bestrafen. An dem Haken. Weil ich ein ungehorsames Mädchen war."

Die Worte wollten nicht aus meinem Mund kommen, meine Stimme klang genauso schwach und ängstlich wie ich mich fühlte.

„Ganz genau, du warst ein sehr ungehorsames Mädchen. Noch nie hast du gegen so viele Regeln auf einmal verstoßen."

Ich schluckte. Er wusste es. Er wusste ganz genau, gegen welche Regeln ich verstoßen hatte. Mein neuer Vater hatte ihm alles erzählt!

„Es tut mir leid, dass ich meinen neuen Vater nicht zufriedenstellen konnte. Ich habe mich sehr angestrengt, ich wollte wirklich alles richtig machen! Aber ich hab den Test nicht bestanden. Es tut mir leid und ich weiß, dass du mich dafür bestrafen musst."

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt