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Natürlich gingen alle Ferien irgendwann einmal zu Ende. Ich vermisste es schon nicht mehr den gesamten Tag mit Lu in seinem Bett auf der faulen Haut liegen zu können.

«Haben wir eigentlich einen Plan?», ich schielte in Lus Richtung. Die Kapuze meiner Winterjacke hatte ich tief ins Gesicht gezogen, während wir gemeinsam auf der Mauer vor der Schule sassen. Obwohl noch immer eine dicke Schicht Schnee am Boden lag, hatte jemand die Mauer freigeschaufelt. Sie mochte vielleicht kalt sein, aber besser als irgendwo rumzustehen.

Es war ein eher grauer Tag. Die Sonne schaffte es kaum durch die dicke Wolkendecke hindurch. Der kalte Wind, welche besonders noch am Wochenende präsent war, hatte sich immerhin zurückgezogen, sodass es ein klein wenig wärmer war.

«Ich dachte wir setzen dort an, wo wir vor den Ferien aufgehört hatten», murmelte Lu. Ein paar helle Haarspitzen lugten unter der grünen Fischermütze auf seinem Kopf hervor, während er sich heute Morgen für seine Brille statt seiner Kontaktlinsen entschieden hatte. In Kombination mit dem Ring an seinem Nasenflügel mochte er vielleicht wie ein verdammter Hipster aussehen, allerdings sah er verdammt gutaussehend aus.

«Also geben wir vor allen weiterhin die besten Freunde?», fragte ich um auf Nummer sicher zu gehen. Lu nickte daraufhin bestätigend.

Schmollend verzog ich den Mund. Natürlich war ich selbst noch nicht bereit genug dazu mich vor der gesamten Schule oder gar der gesamten Welt zu outen. Aber nur zu gerne wäre ich in der Lage die Leichtigkeit der Zärtlichkeiten in den vergangenen Tagen auch ausserhalb Lus Zuhause ausleben zu können.

«Du wirkst gerade ein wenig so, als ob dir diese Idee nicht gefällt, Andrinski», bemerkte Lu natürlich direkt.

Ich verkniff mir einen Seufzer, zuckte aber dennoch mit den Schultern. «Es geht mir ja nicht prinzipiell darum, dass ich die Nähe zu dir hier vermissen werde...» — «... sondern du befürchtest, dass irgendjemand bemerken könnte, dass wir jeden Tag gemeinsam zur Schule kommen und diese auch wieder gemeinsam verlassen?», Lu blickte mit hochgezogener Augenbraue schräg zu mir hinüber.

Ertappt biss ich mir auf die Unterlippe, ehe ich bestätigend nickte. «Ich weiss, dass ich vermutlich übertreibe», seufzte ich. Unsicher strich ich mir die Haare aus dem Gesicht, «Nur befürchte ich halt, dass es jemandem auffallen könnte, dass ich halt ja eigentlich nicht im selben Ort wohne und...»

«... Andrin?», unterbrach mich Lu, «Du machst gerade aus einer Mücke einen ziemlichen Elefanten.»

Obwohl wir uns in der Öffentlichkeit befanden und der Schulhausplatz gut gefüllt mit anderen Schülern war, streckte Lu seinen Arm aus um mein Knie zu tätscheln. Es war eine kurze Berührung. Aber sie reichte dennoch vollkommen aus, um mich gerade für eine Minute auszuknocken.

«Natürlich mach ich das», brummte ich. Meine Lippen verzogen sich zu einem beleidigten Strich. Ich wusste das Lu recht hatte. «Aber vielleicht befürchte ich einfach nur, dass wenn man uns jeden Tag gemeinsam sieht zur Schule kommen und diese auch wieder gemeinsam verlassen, dass irgendjemand eins und eins zusammenzählt und uns keine Möglichkeit gibt der Welt selbst von uns zu erzählen.»

Leise lachte Lu, ehe er Kopfschüttelnd zu mir hinüberschaute. «Du weisst, dass Freunde manchmal auch beieinander übernachten, oder?», schmunzelte der Tessiner.

Ich zuckte mit den Schultern. «Aber doch nicht jeden Tag?»

«Na ja», war es nun Lu der mit den Schultern zuckte, «Doch eigentlich schon. Wenn einer der beiden besten Freunde zum Beispiel in einer kritischen Situation bei sich daheim ist, dann können eben genau diese beiden besten Freunde auch schonmal über mehrere Tage hinweg beieinander übernachten.»

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