«Danke übrigens, dass du dir die Zeit für mich nimmst», sagte ich so leise wie nur möglich. Kristin und ich liefen durch das Untergeschoss der praktisch ausgestorbenen Bibliothek. Irgendwie war es mir immer unangenehm in diesen Räumlichkeiten in normaler Lautstärke zu sprechen.
Vor einigen Tagen hatte ich Kristin danach gefragt, ob wir uns vielleicht einmal zusammensetzen könnten und dieses ganze Spektrum der Sexualität miteinander anschauen könnten. Die Szenerie, sowie Coralies Kommentar von Lus Geburtstag waren mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Und vielleicht siegte auch die Neugierde in mir, dass ich unbedingt wissen wollte, was mein Freund und sie miteinander besprochen hatten.
Die Bulgarin musterte mich mit hochgezogener Augenbraue als sie zu mir hochblickte. Ihre kobaltblauen Haarspitzen blitzten unter ihrer dunkelgrauen Wollmütze hervor. «Du bist doch nur hier, damit ich deine Grösse ausnutzen kann und du mir die Bücher von den obersten Regalen runterholst», zwinkerte mir Kristin schelmisch zu.
Ich rollte mit den Augen und knuffte sie in die Schulter. «Welches Buch brauchst du?», fragte ich das Mädchen als sie stehen geblieben war.
«Basiswissen Kesselbetriebstechnik», lautete Kristins Antwort. Sie zeigte mit dem Finger auf ein bestimmtes Buch, welches auf dem obersten Regalholz stand. Selbst ich musste leicht auf die Zehenspitzen stehen um es greifen zu können.
Kristin bedankte sich, als ich ihr das Buch in die Hände drückte.
«Ich kann's nicht glauben, dass die dir wirklich grünes Licht gegeben haben deine Maturaarbeit über den Prozess des Bierbrauens zu verfassen», lachte ich als ich mit Kristin zu einem der Tische hinüber ging.
«Korrektur, Andrin», sagte Kristin und hob belehrend eine Hand, ehe sie das Buch auf den Tisch abstellte, «Ich schreibe nicht nur über den Prozess des Bierbrauens – ich braue sogar mein eigenes Bier für diese Arbeit. Und du musst gar nichts sagen, Mister Ich schreibe über Homosexualität im Profisport.»
«Pssst», machte ich während ich mich auf einen der Stühle setzte.
«Ich sag ja nur!», sagte Kristin und hob schützend die Hände. Sie schlüpfte aus ihrem Parka und hing diesen über die Stuhllehne, ehe sie sich selbst setzte.
Stirnrunzelnd blickte ich zu der Bulgarin hinüber. «Haben wir vor so lange zu bleiben?»
Kristin zuckte mit den Schultern. «Ich weiss ja nicht wie lange unsere kleine Aufklärungsstunde geht, aber ich bleib danach noch hier um an meiner Maturaarbeit zu arbeiten.»
«Musst du das so nennen?», fragte ich. Ich stützte meinen Ellbogen auf dem Tisch ab, damit ich meinen Kopf gegen meine Faust lehnen konnte.
Schultern zuckend holte Kristin einen College Block, sowie ein Etui aus ihrem Rucksack. Etwas klangvoll liess sie die Dinge auf den weissen Bibliothekstisch fallen. Kristin öffnete den Reisverschluss des Etuis und holte einen dicken Stabilo Filzstift sowie einen Fineliner desselben Herstellers hervor.
Mit dem dicken Stift zog sie eine Linie, welche einmal über die gesamte Seite das A4-Blocks ging, ehe sie einen Kreis am Anfang, in der Mitte und am Ende zeichnete. Dann wechselte die Bulgarin die Stifte auf und schrieb mit dem dünnen Fineliner die Worte Allo, Demi und Aro/Ace neben die Kreise.
«Also», begann Kristin und rückte näher an mich ran mit ihrem Stuhl. Den College Block legte die Bulgarin zwischen uns.
«Vermutlich schaust du nun diesen Stahl an und denkst dir: Was will dieses verrückte Huhn mir damit nun sagen?» — «Ich würde dich nie verrücktes Huhn nennen», widersprach ich Kristin, doch diese winkte ab.
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we are satellites
Teen FictionAndrin wäre gerne ein Komet. Dabei lässt er sich eher mit einem Satelliten vergleichen, der in seiner Umlaufbahn festzustecken scheint. Obwohl er sich diese Saison einen Platz als Stammspieler im Zweitligateam seiner Eishockeymannschaft ergattert h...