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Mein Arzt sowie die Physiotherapeutin hatten mir grünes Licht gegeben, dass ich nach den Sportferien wieder den Unterricht besuchen durfte. Natürlich nicht, ohne dass ich die Sportferien dazu nutzen musste, die ein oder andere Arbeit nachzuschreiben, die ich aufgrund meines Schlüsselbeinbruches verpasst hatte – typisch Schule halt.

Am Sonntag vor meinem ersten Schultag nach dem Unfall lag ich mehr oder weniger auf Lus Bett. Ich quälte mich durch die aktuelle Lektüre für den Deutschunterricht. Zurück in die Schule zukehren hiess natürlich auch, dass ich direkt in der ersten Stunde dazu verdammt war, Prüfungen zu schreiben. So wie all meine anderen Mitschüler das halt ebenfalls mussten.

Während ich auf dem Bett lag, marschierte Lu mehr oder weniger in seinem Zimmer auf und ab. Es machte mich beinahe schon nervös, wie er keine Ruhe zu finden schien.

«Alles okay bei dir?», fragte ich mit hochgezogener Augenbraue in Lus Richtung.

Ertappt blieb er stehen. Wie ein Reh im Scheinwerferlicht starrte er zu mir hinüber. «Was sollte nicht okay bei mir sein?»

Seufzend machte ich ein Eselsohr in das kleine gelbe Reclam Büchlein, ehe ich es neben mich aufs Bett schmiss. Ich setzte mich im Schneidersitz hin, ehe ich neben mir auf die Matratze klopfte. Seufzend liess sich Lu auf den Platz fallen.

Es sah ein klein wenig amüsant aus, wie er da nun halb auf dem Bett lag, halb auf dem Bett sass. Mein Freund streckte den Arm aus, damit er meine Hand halten konnte. Kaum hatten sich unsere Finger miteinander verschränkt, begann ich mit meinem Daumen kleine Kreise auf seinen Handrücken zu zeichnen.

«Was ist los, dass du hier wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend läufst?», fragte ich Lu vorsichtig.

Doch anstellte von einer Antwort, gab der Tessiner grummelnde Geräusche von sich, ehe er seine Hand aus meiner löste und sich auf den Bauch drehte. Brummend liess er den Kopf auf die Matratze fallen.

Nur noch mehr irritiert als davor zog ich skeptisch die Augenbraue hoch. «Sollte ich mir sorgen machen?»

«Nein», antwortete Lu etwas harsch, doch während er sich umdrehte fügte er ein «Na ja. Doch, ja. Vielleicht schon» hinzu.

Vorsichtig liess ich mich nach hinten auf die Matratze fallen, sodass ich nun in der genau gleichen schrägen Position wie Lu auf der Matratze lag. Ich rückte so nah wie möglich an meinen Freund heran, sodass sich unsere Köpfe berührten.

Es dauerte eine Weile, bis Lu sich bereit genug zum Reden fühlte. «Ich hab über deine Rückkehr in die Schule nachgedacht», Lu schluckte leer.

Skeptisch verzog ich das Gesicht. «Ist denn irgendwas vorgefallen während meiner Abwesenheit?»

Zu meiner Erleichterung schüttelte Lu den Kopf. «Ich hab mir Gedanken gemacht.»

«Über?», hakte ich nach. Ich streckte meinen Arm aus und es dauerte nicht lange, bis Lu auch einen seiner Arme ausstreckte, um unsere Finger miteinander zu verschränken.

Lu schluckte leer. «In den letzten Monaten hab ich mich manchmal vor den Spiegel gestellt und hab Dinge wie Hallo ich bin Lu und ich bin panromantisch demisexuell zu mir selbst gesagt. Seitdem ich mit Kristin aber auch dem Mutterschiff darüber gesprochen hab, hab ich das Gefühl das erste Mal ein Label zu haben, bei dem ich wirklich sagen kann, das ich mich komplett wohl damit fühle.»

«Aber?», kaum war mir das Wort aus dem Mund gerutscht bereute ich es. Denn ich wollte nicht unfreundlich sein und den Monolog meines Freundes unterbrechen.

Doch Lus Mundwinkel zuckten nur kurz nach oben. «Ich hab das Gefühl, dass das mein Label ist, dass niemanden zu interessieren hat. Du weisst schon... dass ich niemandem rechenschafft schuldig bin über wie ich mich identifiziere und was ich genau für andere fühle. Und trotzdem hab ich mittlerweile das Gefühl, dass ich mich bereit dazu fühle der Welt von uns zu erzählen», Lu hielt kurz inne, «Natürlich nur, wenn du das auch willst.»

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