Gewitter im Kopf - OS

56. Tian (Hey Fensterbank)

Jan

Hey Fensterbank erinnerst du dich? Erinnerst du dich an die Tage an denen ich auf dir saß und nachgedacht habe? Erinnerst du dich an die Tage die ich auf dir verbracht habe? An die Tage bei Regen, Sturm, Wind, Sonnenschein?

Erinnerst du dich? Erinnerst du dich an die Sachen die ich hier geschrieben habe? Bei dir? Geschichten, Schulsachen, Hausaufgaben, Gedichte, Briefe, Nachrichten?

Erinnerst du dich an die Telefonate die ich auf dir geführt habe? Minuten, Stunden die ich damit verbracht habe?

Erinnerst du dich an die Sonnenuntergänge die wir zusammen erlebt haben? An die Sternbilder die ich gesucht habe?

An die weinenden Kinder, lauten Motoren von Autos die über die Pflasterstraße gefahren sind? Sag mir, erinnerst du dich?

„Hey. Geht’s dir gut?“, unterbricht meine Mutter meine Gedanken, als ich mal wieder auf der Fensterbank sitze.
„Ja klar. Was soll los sein?“, frage ich zurück und starre weiter aus dem offenen Fenster. Eine Windböe erfasst meine Haare und lässt sie aus meinem Gesicht fliegen.

„Du solltest das Fenster zu machen. Es wird gleich dunkel und somit kälter.“, versucht es Mama weiter.
„Ich hab eine Decke.“, antworte ich. Sie seufzt und tritt noch näher.

„Das ist ganz normal. Der Arzt hat gesagt, dass es länger dauern könnte bis du dich erinnerst.“, erinnert sie mich wieder daran.
„Mhm.“, mache ich nur.

„Mach nicht mehr so lange okay?“, sagt sie nun.
„Ja ja.“, antworte ich.

„Ich hab dich lieb.“, meint sie vorsichtig.
„Mhm.“, mache ich nur wieder. Ein weiteres Seufzen höre ich, ehe meine Tür sich schließt.

Ich setze mich auf und lasse meine Füße aus der Decke hervorgleiten. Langsam hebe ich sie durch mein Fenster nach draußen, sodass sie den Schnee auf dem Dach berühren.

Ich friere nicht.
Wie auch?
In mir ist ja nichts.
Kein Gefühl.
Kein Wissen.
Keine Erinnerung.

Hey Fensterbank, erinnerst du dich? Ich tu es nämlich nicht.

Plötzlich höre ich von unten die Stimme meiner Mutter und eine fremde, aber so vertraute männliche Stimme. Ich springe von der Fensterbank und schleiche zur Treppe.

„Er ist mein Freund! Ich muss es doch versuchen!“, meint die männliche Stimme gerade verzweifelt.
„Wir dürfen ihn nicht überfordern. Amnesie ist ein ernstzunehmendes Thema.“, antwortet meine Mama.

„Ich weiß das doch!“, sagt der Mann und kommt nun endlich in mein Blickfeld. Ich erstarre und sehe mir die blond gefärbten Haare genauer an.

Eine Szene kommt in meinen Kopf. Wir beide sind beim Friseur. Meine Haare werden rot gefärbt, während er das ganze filmt. Für YouTube. Dann ist er dran und bekommt blonde Haare. Mein Tourette macht sich über ihn lustig, während ich das ganze filme. Er nennt mich Jan und mein Tourette Gisela. Dann schalte ich die Kamera aus und drücke ihm einen Kuss auf die Wange.

Da trifft mich der Schlag.
Ich weiß wer das ist!

„Tim!“, rufe ich glücklich, springe auf und renne die Treppe runter auf die beiden zu. Mama starrt mich verwirrt an, während Tim erleichtert scheint. Ich springe ihn an und küsse ihn einfach.

„Ich glaube du kannst doch reinkommen.“, meint Mama plötzlich lächelnd und bittet Tom herein.

„Weiß unsere Community von meinem Unfall? Haben sie es gut aufgenommen? Wie hast du das mit den Videos gelöst?“, frage ich sofort, als wir uns lösen.
„Du… du erinnerst dich?“, fragt Tim und Tränen schimmern in seinen Augen.
„Natürlich. Dich könnte ich nicht vergessen.“, sage ich und küsse ihn wieder.

„Gute Nacht ihr zwei.“, meint meine Mutter und lässt uns alleine. Tim löst sich von mir und zieht mich in mein Zimmer. Ich setze mich auf meine Fensterbank und er stellt sich dazwischen.

„Ich bin so froh, dass du dich wieder erinnerst!“, murmelt er.
„Noch nicht an alles, aber hilft du mir?“, frage ich und sehe ihn an.
„Natürlich. Ich liebe dich!“, sagt er und küsst mich wieder.
Ich lasse meine Hände in seine Haare gleiten und lächle glücklich in den Kuss hinein.

Hey Fensterbank, erinnerst du dich? Ich tu es langsam wieder.

Ich habe einfach eine meiner Kurzgeschichten hier weiter geschrieben 😊