59. Tian (Weiß, Grau, Schwarz)

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Tim

„Schließt die Augen und lasst euch fallen. Ihr erwacht auf einer Wiese mit einem Baum. Dieser Baum besitzt anstatt Blättern Lichterkugeln.“, höre ich die Stimme meiner Lehrerin, ehe ich weg bin.

Tatsächlich erwache ich auf einer Wiese. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich spüre eine Sommerbrise, welche über meine Haut streicht. Ich setze mich auf und sehe den Baum. Er ist groß und furchteinflößend. Fast so, als wolle er sagen: „Bleib ja fern, wenn du böses willst. Ich spüre das!“

Die ersten Klassenkameraden von mir, treten in mein Sichtfeld. Sie gehen auf den Baum zu, weshalb nun auch ich aufstehe. Vor dem Baum bleibe ich stehen und betrachte die einzelnen Kugeln. Sie scheinen aus Licht zu bestehen.

Langsam strecke ich meine Hand aus und höre aus der Ferne die Stimme meiner Lehrerin: „Diese Kugel zeigt euch die Vergangenheit.“ Die Lichterkugel ist strahlend weiß und zeigt mir mein alles erste Weihnachten mit meinem großen Bruder, als er aus dem Militärdienst wieder zurückgekommen ist.

Eine Wärme umschließt mein Herz und ich beginne leicht zu lächeln. Da war noch alles gut und schön. Schön und gut. Ich hänge die Kugel wieder zurück.

„Die nächste Kugel zeigt euch die Gegenwart.“, meint die Stimme aus der Ferne, weshalb ich nach der nächsten greife. Meine Klassenkameraden machen es mir nach. Ich seufze schwer und wage einen kurzen Blick in die Kugel.

Sie ist grau geworden und leuchtet nicht mehr so stark. Ich sehe mich in mitten meiner Klassenkameraden auf meinen Stuhl sitzen. Meine Augen sind geschlossen und die Züge meines Gesichts entspannt. Sofort hänge ich die Kugel zurück und schüttle mich.
Ich hasse mein Spiegelbild.

„Und zu Letzt nehmt ihr die Kugel der Zukunft.“, sagt die Stimme wieder. Ich entscheide mich blind für eine Kugel und seufze. Mein Blick fällt auf die anderen die alle eine weiße Kugel in den Händen halten. Nun fällt mein Blick auf meine Kugel. Sie ist Kohlraben schwarz. Ich erkenne nichts außer Dunkelheit. Rein gar nichts.

„Und nun wacht ihr langsam auf.“, sagt die Stimme, weshalb nach und nach alle meine Klassenkameraden verschwinden. Mein Blick gleitet von der schwarzen Kugel zu der grauen. Die beiden Kugeln sind die einzigen andersfarbigen an diesem Baum.

Ich greife nochmal nach der Grauen und betrachte sie genauer. Alle um mich herum sind wach und sehen mich an. Auch unsere Lehrerin tritt näher und schüttelt nun an meiner Schulter. Mein Blick gleitet tiefer zu meinem linken Arm. Der Ärmel meines Pullovers scheint dunkler.

Aus Reflex greife ich nach meinem linken Arm und verstehe. Meine frischen Narben sind aufgewacht. Mein Blick gleitet wieder in die graue Kugel. Die Lehrerin scheint mittlerweile ziemlich panisch zu sein und schickt gerade einen Schüler los. Aus der Ferne höre ich ihre Stimmen doch kann ich mich nicht dazu aufraffen ihren Stimmen zu folgen.

„Tim!“, höre ich plötzlich die Stimme meines Bruders. Ich drehe mich um und sehe ihn und meine Eltern am Rande eines Waldes stehen. Sie lächeln mich an und winken mich zu ihnen. Tränen beginnen über meine Wangen zu laufen.

Die Kugeln fallen aus meiner Hand, während ich auf die drei zu renne. Bei ihnen angekommen springe ich in ihre Arme und umarme jeden fest.

„Komm mit uns.“, murmelt meine Mutter, woraufhin ich nicke und mit meinem Leben abschließe. Mein Leben, welches erst weiß, dann grau und nun schwarz ist.

Fortsetzung?

Gewitter im Kopf - OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt