7. Tian (Deine Nähe tut mir weh)

1.4K 49 17
                                    

Jan

„Hau ab! Ich will dich nie wieder sehen! Es ist vorbei! Aus! Verschwinde!"

Das waren Tims letzte Worte bevor, seine Augen zu fielen und ein langer Piep Ton den Raum durchzog. Die Ärzte kamen sofort reingerannt, um ihn zu reanimieren. Ich und Tims Mutter wurden aus den Raum geschoben. Dort hat sie begonnen mich anzuschreien.

„Du! Du bist schuld das Tim da liegt! Du bist schuld, dass ich meinen Sohn verloren habe! Du bist schuld das er das ist was er ist!"

Mit diesen Worten lief sie mit schnellen Schritten den Gang runter. Ich blieb erstarrt stehen und bewegte mich nicht vom Fleck. Als die Ärzte wieder raus kamen sagten sie, dass sie Tim ins Koma schicken mussten, sonst hätte er das nicht überlebt. Ich dürfte ihn ab morgen besuchen. Und das tat ich. Jeden Tag besuchte ich Tim und hoffte, dass er wieder aufwacht. Die Ärzte sagten das er es von alleine schaffen musste.

Jahre vergingen. Tag ein Tag aus saß ich an seinem Bett. Ab und zu kam meine Mutter, doch Tims Eltern ließen sich nie blicken. Mein Alltag war eintönig. Aufstehen, anziehen, ins Krankenhaus fahren, bei Tim sein, seinem künstlichen Herzschlag zuhören, nach Hause fahren, etwas kleines essen, schlafen.

Mein Herz steht's betrübt und traurig. Tims Mutter hat recht. Ich bin schuld, dass er hier liegt. Hätte ich meine Gefühle für mich behalten und ihn somit nicht von der Straße abgelenkt, wären wir nicht gegen einen Baum gefahren. Hätte ich meinen Mund gehalten, wäre alles gut. Tim würde noch Kontakt zu seinen Eltern haben, er wäre lebendig und wir würden weiter Videos produzieren. Auch wäre Gisela wahrscheinlich noch da.

Sie ist verschwunden. Als wäre sie nie da gewesen. Still und ruhig. Wie eine Art Trance die dafür sorgt, dass ich nur noch eine leere Hülle bin. Doch heute würde ich das beenden. Heute würde ich meinen Kummer von meiner Seele reden.

„Hi Tim. Ich muss heute etwas loswerden. Ich wollte nie, dass du den Kontakt zu deinen Eltern abbrichst. Ich wollte nie, dass du hier landest. Ich wollte dich nie verletzen. Ich sollte da liegen nicht du. Ich bin schuld das du gegen den Baum gefahren bist. Ich bin einfach schuld an allem! Weißt du? Ich will dich einfach zurück! Auch wenn das bedeutet das ich mich von dir fernhalten soll, da du mich ja nicht liebst. Vielleicht wäre das auch besser, denn deine Nähe tut mir weh. Ich sehe einfach mehr in uns, als du. Bitte. Komm zurück und lebe weiter! Ich bitte dich! Ich liebe dich!"

Ich vergrabe mein Gesicht in den Bettlagen und weine unbeirrt vor mich hin. Was mach ich mir hier für Hoffnungen? Er wird nie wieder aufwachen. Und plötzlich ist er wieder da. Der Piep Ton.






Eigentlich wollte ich hier Schluss machen, da ich doch irgendwie an meinem Leben hänge und mindestens mein 20. Lebensjahr erreichen will, geht es weiter.






















Die Ärzte stürmen herein und wollen gerade etwas machen, als der Piep Ton aufhört. Ich blicke auf und auf das Gerät, welches den Herzschlag anzeigt. Dort sieht man einen Herzschlag der immer stärker wird, bis Tim plötzlich seine Augen langsam öffnet und uns alle verwirrt ansieht. Ich starre ihn geschockt an, werde von der Schwester auf einen Stuhl im Zimmer gesetzt und schaue zu, während die Ärzte Tim untersuchen. Als diese dann aus dem Zimmer verschwinden ist es still. Ich starre immer noch auf Tim, während dieser an die Decke starrt.

„Dir ist schon klar, das ich mit dem ‚Hau ab' meine Mutter meinte, oder?"

Tims Stimme durchbricht die Stille. Sie ist dünn und fragend. Ich nicke und flüstere noch ein kleines ‚Ja'. Danach ist es wieder still.

„Jan? Komm bitte her."

Durchbricht wieder Tim die Stille und blickt mir dieses Mal tief in die Augen. Ich stehe in Trance auf und gehe auf ihn zu. Am Bett angekommen lasse ich mich auf der Bettkante nieder und schaue ihn einfach an. Seine Augen wirken müde und traurig. Trotzdem ist ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen zu sehen.

„Ich habe alles gehört. Jedes einzelne Wort von dir. Ich bitte dich. Entferne dich nicht von mir! Bleib bei mir! Ich liebe dich auch, mehr als du dir vorstellen kannst! Ich sehe auch mehr in uns, als momentan der Fall ist. Lass mich nicht allein! Das würde ich nicht ertragen! Ich habe gekämpft, durch deine Worte ermutigt. Durch dein ‚Ich liebe dich!'. Du hast mich dazu gebracht mich gegen das Koma zu wehren. Du bist der Grund warum ich leben will! Ich liebe dich!"

Mein Blick ist starr in seine Augen gerichtet. Mein Gehirn verarbeitet die Wörter und mit jedem Wort mehr, habe ich das Gefühl glücklicher zu werden. Mit jedem Wort mehr, scheine ich mich aus der Trance zu lösen. Mit jedem Wort mehr, kommt Gisela mehr zurück. Mit jedem Wort mehr, steigert sich das Verlangen nach einem Kuss. Mit jedem Wort mehr, werde ich mir sicherer das es doch nicht aus und vorbei ist. Und mit den letzten drei Worten scheint der Damm gebrochen.

Gisela ist zurück, schreit einmal – Pommes! –, ehe ich meine Lippen auf seine lege und die Augen schließe. Er erwidert den Kuss und ich spüre wie er leicht zu lächeln beginnt.

„Ich liebe dich!"

„Und ich liebe euch!"


Ich hoffe das Ende stimmt euch zufrieden.

Gewitter im Kopf - OSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt