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Vorsichtig ließ Paddy seinen besten Rotmarderhaarpinsel durch die dunkelrote Gouache gleiten. Nur wenig der dickflüssigen Farbe nahm er dabei auf und verteilte jene zwischen zwei Erhebungen auf seiner Acrylglas-Palette. Da ihm die Konsistenz aber noch zu kräftig war, tunkte er seinen Pinsel in das Wasserglas zu seiner Rechten, verflüssigte ein wenig die Farbe und hielt dann konzentriert inne.

Zusammengesunken wie er mit geschlossenen Augen an seinem Schreibtisch saß, hatte er nur monotones Dunkelrot ohne Fokus im Sinn – doch er wollte es nicht unlebendig haben. Kurzweilig hob Paddy seinen Kopf und sah hinaus durch das direkt über ihm liegende Dachfenster in den bewölkten Sommerabend, bevor er seinen Pinsel ansetzte und einmal vage über das satinierte Aquarellpapier zog. Nur äußerst zögerlich verteilte und verblendete er dann die flüssigen Pigmente im oberen Teil des Hintergrunds und blieb der Mitte und den zwei feinen Bleistiftlinien höchstpenibel fern. Viel zu lange hatte er an diesen kaum sichtbaren und miteinander verbundenen ovalen Kreisen gesessen, die sich so nah waren, dass sie für ihn wie ein zusammengestauchtes Unendlichzeichen wirkten.

Aber schon in diesen ersten Zügen gefiel ihm nichts, was er da fabrizierte. Kein bisschen strahlte es die Harmonie aus, die sich schlichtweg in sein Herz geschlichen hatte. Immer wieder zog er seinen Pinsel über das Papier und hatte immer wieder nur Jurij und Mark und ihr geteiltes Lächeln vor Augen. Dieses Bild der beiden ließ ihn einfach nicht mehr los und dann ließ er sein eigenes farbintensiver werden. An den äußeren Ecken verteilte er die matte Gouache direkt und arbeitete mit gröberen Zügen.

Letztlich griff Paddy jedoch nach einem feineren Pinsel und durfte dann auch noch feststellen, dass er jenen nicht richtig sauber gemacht hatte. Je näher er der Mitte des Bildes kam, desto dunkler wurde das schöne Karmesinrot und ließ ihn endgültig frustriert zurück, nicht das aufs Papier bringen zu können, wie es ihm vorschwebte. Unkontrollierter ließ er die Pinselstriche werden und drückte dann mit einem leisen Seufzer den Pinsel ins roséfarbene Wasserglas – das er vor Schreck direkt umriss, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.

„Mann, so 'ne Scheiße!", regte er sich lautstark auf und griff erst hektisch nach dem Glas und dann nach der Küchenrolle zu seiner Linken, um noch irgendetwas von seinem überschwemmten Bild zu retten. Ein ganzes Bündel davon auf sein Blatt gedrückt, musste er fluchend nur direkt nach seinem sündhaft teuren Zeichenblock langen und dann mit einem aggressiven „Nich'!" Junia auch noch davon abhalten, ihm jenen abzunehmen. Stattdessen legte er sich den DinA4-Block auf den Schoß, griff noch mal nach dem Küchenpapier und drückte es fahrig auf das Holz des Schreibtisches, das nur wenige pinke Spritzer abbekommen hatte.

„Entschuldigung", vernahm Paddy es dabei leise, beinah kleinlaut hinter sich. Sein Herz schlug jedoch so aufgebracht in seiner Brust, dass er sich bloß zögerlich herumdrehen und Junia dann auch nur noch perplex nachsehen konnte, als sie schon ohne ein weiteres Wort den Raum verließ.

„Was soll'n das jetz'?!", wurde Paddy noch aggressiver – nach den letzten getrennten Tagen hatte er bestimmt nicht den lieben langen Abend auf solch ein Wiedersehen gewartet. Aber weder hielt sie inne, noch sprang er auf und lief ihr nach. Gereizt wie er war, drehte er sich mit einem entsprechenden Laut nur wieder um und verspürte beinah Wut, als er zögerlich die vollgesogenen Tücher von seinem Blatt nahm. Nahezu jeder Pinselstrich war verschwommen, während das Pink auch seine zwei ovalen Kreise verunstaltete, die er vorerst gar nicht hatte anrühren wollen.

Nach und nach fesselten ihn die Farbverläufe und die Abdrücke des Papiers dann aber doch zu sehr. Und nachdem er sich wieder beruhigt hatte, konnte er sich beinah auch bloß glücklich schätzen, nun nicht erklären zu müssen, was er da darstellen wollte. Zügig räumte Paddy dann auch schon alles weg, legte das Blatt zum Trocknen auf die Fensterbank und besah sich noch einmal die sommerroten Schlieren. Nur als er dann alles als Langeweile und banalen Zeitvertreib abtun wollte, hielt er wieder inne und lächelte. Diese Wertschätzung, von Mark so viel Vertrauen vermittelt bekommen zu haben, wollte er sich einfach nicht nehmen. Und noch weniger konnte er diese Faszination verlieren, unterbinden oder unterdrücken. Noch immer fühlte er so viel, wenn er an diese analoge Fotographie von Jurij und Mark dachte – und dann lief er so kopflos aus dem Raum, dass er sowohl einmal für seine Pinsel, als auch für sein Glas zurücklaufen musste. Am oberen Bad kam er dann nur nicht weit. Perplex rüttelte er an der Badezimmertür, von der er nicht mal wusste, dass sie verschließbar war.

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