XIX

231 20 3
                                    


XIX


Er hatte schon keine Kraft mehr, sonderlich zu hadern. Mit gesenktem Haupt betrat Paddy den stockdunklen Hausflur und atmete erleichtert auf, als er auch keine anderen Lichtquellen ausmachen konnte – und dann beließ er es auch einfach dabei. Im schwachen Licht der späten Nacht stellte er seine Tasche und seinen Koffer vorsichtig zur Seite und hielt, nachdem er sich seine Schuhe rasch von den Fersen gezogen hatte, aufhorchend kurz inne. Aber so dunkel wie ihr Häuschen war, vernahm er auch kein einziges Geräusch. Beinah hätte es ihm noch ein erleichtertes Schmunzeln entlockt – aber da freute er sich bloß zu früh. Kaum hatte er nach seiner Tasche gegriffen und einen Schritt auf die Treppe hoch ins Obergeschoss gesetzt, öffnete sich bereits die Schlafzimmertür.

Fucking shit, lag es ihm direkt schön auf der Zunge und vielleicht hätte er auch noch etwas anderes von sich geben können, hätte ihn nicht solch ein dumpfer und gleichzeitig tiefgehender Schmerz übermannt, dass er völlig erstarrte. Regungslos konnte er für die ersten Momente bloß dabei zusehen, wie Junia im engen Top und Schlafanzughöschen und mit ihrem Knödel auf dem Kopf in sein Blickfeld trat und oben vor der Treppe stehenblieb.

„Noch wach?", bekam Paddy dann auch nur schwach und vom langen Konzert leicht heiser hervorgebracht und hätte bei aller Banalität selber am liebsten seine Augen verdreht.

„Ja, ich kann nicht schlafen", entgegnete Junia trotzdem nur so ruhig, beinah sanft, dass er wieder erst von leiser Erleichterung übermannt wurde. Sein schlechtes Gewissen wurde im Nachhinein dafür nur umso durchdringender, sodass er einfach nicht mehr klarkam.

„Oh", bekam Paddy dann auch nur seltsam erstickt hervorgebracht und zögerte nicht lange, um mit einem „Küche" auch genau dorthin zu laufen. Aber so lange er auch im Dunklen am Kühlschrank stand, kalten Apfelsaft trank und sich zwei Schokoriegel reinpfiff, schaffte er es dann wieder nicht in Ruhe am Schlafzimmer vorbei. Kaum hatte er einen Schritt ins Obergeschoss gesetzt, stand Junia im Türrahmen und brauchte nur einen Meter an ihn heranzusetzen, damit er unwillkürlich direkt wieder stockte und einfach ihren Blick suchen musste.

„Was hast du da an der Lippe?", sah Junia ihn jedoch so besorgt an, dass er ruckartig sein Gesicht wegdrehte und sich wenig sanft an ihr vorbeidrückte.

„Fetter Pickel", log Paddy dank der letzten zwei Tage wie gedruckt und ging währenddessen auch unbekümmert an ihrem schwach beleuchteten Schlafzimmer vorbei.

„Was soll das?", wurde Junia dann nur so ernst, dass er wieder gegen seinen Willen innehielt. Und beinah hätte er sich noch mehr beeinflussen lassen und sich umgedreht, aber dann blieb ihm einfach nichts anderes, als seinen Kopf nur minimal nach links zu drehen und in die Offensive zu gehen.

„Sorry, I just wanna sleep ... alone. Die Show gerade und die letzten Tage waren ... exhausting", entgegnete Paddy, während er wieder das Gästezimmer ansteuerte, nur ehrlich. Das Konzert heute hier in München und vorgestern an der Ostseeküste, als er dank Mark in der Nacht nur zwei Stunden Schlaf bekommen hatte, waren die reinste Qual gewesen. Der Offday dazwischen, den er sich gestern spontan am Meer genommen hatte, hatte auch nichts besser gemacht. Ganz im Gegenteil. Die Ruhe am Meer hatte seine Gedanken weiter davongetragen, als er in den Horizont hatte sehen können. Aber nie war auch nur ein einziger brauchbarer zurückgekommen.

„Die Aufzeichnungen stecken mir noch im Knochen. That was ... all a little bit too much", hing er dann noch hinterher, während er mühsam mit der schweren Tasche an der Schulter die Gästezimmertür öffnete – aber auch das war nicht gelogen, wenn auch ein wenig berechnend. Alles rund um Berlin hatte ihn so sehr vereinnahmt, dass er die Open Airs am Samstag und heute am Montag nicht mal mehr präsent auf dem Schirm gehabt hatte. Bevor er davon nur zu viel hochkommen ließ, lief er noch einen Schritt schneller in das dunkle Zimmer und schüttelte dabei seinen Kopf. Er konnte es einfach nicht mehr ertragen.

DenialWo Geschichten leben. Entdecke jetzt